Der UTMB 2018 war wieder einmal mehr eine Grenzerfahrung, aber auch eines der Erlebnisse, auf die man trotz aller Kämpfe nicht verzichten möchte, denn die Energie und die Begeisterung, die Chamonix in dieser einen Woche erfüllt, ist schlichtweg einmalig.

    Auf dem Anstieg zum Col de la Seigne weht ein eiskalter und böiger Wind, der mir das Vorwärtskommen nahezu unmöglich macht. Zudem setzt mir die Höhenluft zu, so dass ich weder einen Energieriegel noch ein Gel hinunter bekomme. Als ich endlich den Gipfel auf 2.500 Metern Höhe erreiche, steht für mich an dieser Stelle fest, dass ich das Rennen spätestens bei Kilometer 78 in Courmayeur beenden werde.

    Bild: UTMB, Franck Oddoux

    Der Kampf mit mir selbst scheint verloren und das Scheitern am UTMB 2018 an dieser Stelle des Rennens vorprogrammiert. Was mich am Ende an der großen Verpflegungsstelle auf der italienischen Seite des Monte Bianco weiter treibt, mich nur das Nötigste in aller Kürze aufnehmen lässt, um entschlossen die nächsten Höhenmeter hinter mich zu bringen, das ist schwer zu sagen. Klar ist jedoch, das ich mich dem Kampf, das Ziel am Ende zu erreichen, nicht alleine stelle.

    Warten, bangen, hoffen – ohne Gritt wäre ich gescheitert, Foto: Harald Bajohr

    Mindestens genauso mal verzweifelt und mal voller Zuversicht und mit diesem Zittern, doch an den Zeitlimits im Laufe des Rennens zu scheitern, ist meine Partnerin Gritt, die sich zwei schlaflose Nächte in unserer Herberge in Chamonix um die Ohren haut. Voller Anspannung wartet sie auf die Zwischenzeiten, starrt wie ein Pillhuhn auf die Kameras an den Verpflegungssteilen, um mich zu erblicken. Anhand von Sekunden versucht sie Gesichtsausdruck und Körperhaltung zu interpretieren, hält Freunde und Bekannte per Whats App und SMS auf dem Laufenden.

    Bild: UTMB, Pascal Tournaire

    Um der Spannung ein wenig zu entgehen, streift sie nachts im Zielbereich umher und feuert die Läuferinnen und Läufer an, die bereits das Ziel erreichen. Auf einen Platz im Bus der Betreuertour hatten wir bewusst verzichtet, nicht wegen den 35,- Euro für die UTMB Runde, sondern vielmehr weil ich die Strecke für mich ganz alleine bewältigen will. Ohne jeglichen Support von Freunden, Vereinskollegen oder den Lebenspartnern. Diesbezüglich – so kommt es mir jedenfalls auf der Strecke vor – sind wir in der Minderzahl.

    Wiedersehen mit Dana Eichinger von Columbia auf der Expo. Bild: Gritt Liebing

    Die Energie, die in Chamonix in der UTMB-Woche herrscht, steckt alle an. Teilnehmer, Partner und Betreuer, Zuschauer, Sponsoren und Aussteller. Ein Streifzug über die Expo in den Tagen vor oder – sollte man einen Startplatz für den MMC, TDS, OCC oder CCC erhaschen – nach dem Rennen, gehört einfach dazu.

    Genauso dazu gehört der Kauf des „offiziellen UTMB-Riegels“ der französischen Sporternährungsmarke Overstims, die demnächst auch in Deutschland vertrieben wird oder ein Besuch beim Presenting Partner Columbia.

    Mit Adrian vom INOV-8 Team

    Die Expo ist auch ein Treffpunkt, eben von Athleten für Athleten. Da dürfen natürlich auch die Autogrammstunden der Eliteläufer nicht fehlen. Wir treffen zudem alte Bekannte und Lauffreunde, mit denen uns so einige Abenteuer verbinden. Der UTMB ist ein Schmelztiegel der verschiedensten Nationalitäten, man gewinnt neue Bekanntschaften, die oftmals ein Leben lang erhalten bleiben. Und über allem scheint in diesen Tagen noch überwiegend, abgesehen von wenigen Schauern, die Sonne auf Chamonix und hüllt die Ausläufer des Mont Blancs und die umliegenden Gebirgszüge in ein freundliches Licht.

     

    Das ändert sich mit dem Freitag. Regen und dichte Wolken verheißen für den Start am Abend um 18:00 Uhr nichts Gutes. Die Mischung aus Energie und Spannung hat ihren Höhepunkt erreicht. Der Place du Triangle de l’Amitié platzt schier vor Läufern, Zuschauern und Betreuern.

    Bild: Gritt Liebing

    Um Punkt 17:50 Uhr stelle ich fest, dass der Schuh drückt. Oder besser gesagt, die rechte Socke ein mulmiges Gefühl vermittelt. Gritt hetzt in unsere zum Glück nahe gelegene Ferienwohnung und bringt mir eine Auswahl an Socken mit, am Ende habe ich zwei verschiedene an, aber wen stört das schon? Der Zweck heiligt eben alle Mittel.

    Sockenpoker auch nach dem Rennen, Bild: Gritt Liebing

    Wir verabschieden uns, die letzten Sekunden vor dem Startschuss gehören mir ganz alleine. Voller Demut und mit wenig Zuversicht entlädt sich meine ganz persönliche Spannung in eine Flut aus Tränen. Es sollten die letzten für die nächsten 46 Stunden und 4 Minuten sein. In dem großen Mix aus Emotionen während der 170 Kilometer und annähernd 10.000 Höhenmeter ist für vieles Platz: für Wut, Verzweiflung, für Freude und ein dankbares Lächeln, aber nicht für Tränen.

    Der Fokus muss auf´s Ankommen gerichtet sein, zumindest bis zum nächsten Verpflegungspunkt. Endlich kommt auch Bewegung ins hintere Feld und ich überschreite die Startlinie. Der Zuschauerkorridor und die über 2.500 Teilnehmer füllen die schmalen Straßen Chamonix aus. Am Rande entdecke ich Gritt, ein letztes Abklatschen der Hände und das Laufen Richtung Les Houches nimmt Bewegung an.

    Kritischer Blick Richtung Wolken am Donnerstag vor dem Rennen, Bild: Gritt Liebing

    Noch heute, ein paar Tage nach dem UTMB schwirren mir Namen, Start-Nummern und Gesichter durch den Kopf. Begegnungen auf der Strecke oder an den Verpflegungsstellen. Den Belgier Ouns, mit dem ich beim Tor des Geants viele Kilometer absolviert hatte, treffe ich genauso wie Jürgen, dem ich noch nie persönlich begegnet bin oder Anke, die wie ich zu hadern scheint. Die beiden Schweizer, die mich downhill immer überholen und ich sie uphill wieder einhole, das Pärchen aus Hongkong, der Franzose, der mich beim Abstieg Richtung Vallorcine noch einmal motiviert und Beine macht, die Engländerin an der Verpflegungsstelle Bonati, die mich kurz vor Aufgabe motiviert, es einfach weiter zu versuchen. Es gibt während des UTMB so viele Begegnungen, die für sich alleine schon jede einzelne eine Geschichte wert wäre. Ich bin für jede Begegnung dankbar, für jeden Blick und für jede kleine Geschichte, die die Kilometer schmelzen lässt und Mut macht.

    Bild: UTMB, Pascal Tournaire

    Ich konnte es mir nicht leisten, mich auszuruhen geschweige denn zu schlafen. Die Cutoff Zeiten saßen mir ab Les Contamines im Nacken. In Cormayeur hatte ich einen kleinen Puffer von 20 Minuten, der zusehends schmolz. Die miserablen Wetterbedingungen wie Regen, dichte Wolken und Nebel und der starke kalte Wind, der jede Aussicht auf ein schönes Panorama verhinderte, zermürbten den Körper, den Kampfgeist. In La Fouly, vor dem Aufstieg zum La Fourclaz wies mich ein Helfer an, die Regenhose anzuziehen. Das kostete noch einmal Zeit, die ich eigentlich nicht hatte. Zu allem Überfluss verlor meine Trinkblase Wasser, der Dichtungsring hatte sich kurzzeitig gelöst und so schlappte ich mit geöffnetem Rucksack und halb angezogener Regenhose zwei Minuten vor dem Schließen der Verpflegungsstelle weiter.

    Bild: UTMB, Pascal Tournaire

    Doch irgendetwas trieb mich weiter, immer weiter. Ich nehme an, dass es die Magie des Monts Blanc gewesen ist, die mich jeden steilen Anstieg ziemlich behende Tempo aufnehmen ließ. Der Mont Blanc meinte es schon immer gut mit mir und auch in diesem Jahr sollte am Ende alles gut werden. Doch zwischenzeitlich stemme ich mich den Sturmböen entgegen und denke an Eva, die mir eigentlich Rückenwind schicken wollte statt Sturm, der die Gesichtszüge einfrieren lässt. Die Schlucht von Bovine setzt mir genauso zu wie allen anderen, die mit mir unterwegs sind. Ein Schritt vor, zwei zurück, so kommt es einem vor.

    Bild: UTMB, Franck Oddoux

    Kurzes Durchatmen in Trient nach einem halsbrecherischen Abstieg, dann nur noch Vallorcine und dem Ziel entgegen, Auch wenn der Tete aux Vent in diesem Jahr nicht auf der Route stand – ein Steinschlag machte das Passieren der Strecke unmöglich – und sparte uns circa 100 Höhenmeter, so haben sich die Renndirektoren alle Mühe gegeben, das Rennen nicht einfacher werden zu lassen. Das haben sie geschafft! Ich wäre lieber die Originalstrecke gelaufen, da weiß man wenigstens, was man hat, Die Alternativroute ist anspruchsvoller – zumindest meinem Empfinden nach – und erfordert noch mehr Konzentration, die zu diesem Zeitpunkt des Rennens ohnehin keinen Bestand mehr hat. Ich funktioniere nur noch und eine kleine Unaufmerksamkeit lässt mich abwärts kurz stolpern. Ein stechender Schmerz im Knie lässt für Sekunden das große Ziel so immens klein werden. Doch irgendwie geht es weiter, dem letzten Checkpoint entgegen. Endlich offenbart sich La Flégère, nur noch die Skipiste hoch. 15 Minuten vor dem Zeitlimit erreiche ich die letzte Station. Ouns winkt mir entgegen und gratuliert mir und wir machen uns auf den Weg zur letzten Teiletappe Richtung Ziel.

    Begleitung für die letzten Meter von Adrian, Bild: Gritt Liebing

    Nach der allerletzten Trailpassage höre ich am Rande der Schotterpiste ein „Bravo, Harald! Du hast es geschafft!“ Ich bin zu müde, einen Blick auf die Seite zu werfen. Erst 50 Meter weiter registriert mein Hirn, dass es wohl Christelle vom Columbia-Team gewesen ist. Ich möchte sie auf ewig fest halten, diese Bilder der letzten Meter durch Chamonix. An dem letzten Brückenübergang in Chamonix warten Adrian und Michael vom INOV-8 Team auf mich, auch sie sind Grenzgänger und  laufen ein paar Meter mit und bahnen mir einen kleinen Korridor durch die gefüllte Einkaufsmeile. Grenzüberschreitend ist der UTMB auch was Marken und Sponsoren betrifft, der Respekt und die Leidenschaft wird mit den Läufern unabhängig ihrer Markenwahl geteilt. Ich entdecke endlich Gritt und winke ihr überglücklich zu. Wie oft habe ich mir diesen Moment herbeigesehnt, sie endlich wieder zu sehen. Die, die mir so viel Kraft und Zuversicht mit auf den Weg gegeben hat, mich immer wieder ermutigt hat, das Unterfangen UTMB noch einmal anzugehen. Sie macht noch schnell ein Foto bevor es auf die letzten Meter Richtung Ziellinie geht.

    Gemeinsame Tränen der Freude, Bild: Adrian Hope

    Ich möchte nicht mehr anhalten, ich möchte ankommen und endlich laufe ich dem großen Ziel entgegen und feiere meinen ganz persönlichen Sieg. „Thank you, Chamonix“, brülle ich den Leuten entgegen, die mir die letzten Meter mit tosendem Applaus versüßen. Und dann versinke ich in einem Meer aus Tränen, vergesse das Leiden der vergangenen zwei Tage und bin dankbar für die Demut, die ich im Angesicht des weißen Bergs empfinde.

    Es haben so viele Menschen an diesem Erlebnis mitgewirkt, die mir die Daumen gedrückt  und mitgefiebert haben. Ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit, dem Mont Blanc wieder einmal so nahe gekommen sein zu dürfen und ich weiß immer noch nicht, wie ich in den Alltag zurückfinden soll. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals der magischen Anziehungskraft des UTMB entziehen kann.

    „Der UTMB ist die Olympiade der Trailrunner“, um an dieser Stelle einen Teilnehmer des UTMB 2018 zu zitieren. Einer Olympiade kann man nur schwer widerstehen – ob als Teilnehmer, Zuschauer oder Helfer. Die Magie des UTMB ist ungebrochen, allen Kritikern zum Trotz.

    Bild: UTMB, Pascal Tournaire

    Er setzt Maßstäbe in Sachen Organisation, einem adäquaten Mix aus Härte und der Möglichkeit, es auch als ambitionierter Hobbyläufer mit ausreichend Erfahrung und Training zu schaffen, er verbindet Nationalitäten und schreibt Geschichten über persönliche Erfolge und Misserfolge und am Ende setzt er Maßstäbe in Sachen Begeisterung einer ganzen Region über Ländergrenzen hinweg. Merci Chamonix, merci UTMB!

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    2 Kommentare
    • Antworten Sandra

      15. Oktober 2018, 12:39

      Lieber Harald, danke. Mehr fällt mir gerade nicht ein. Die Gänsehaut ist noch spür- und sichtbar! Meine Vorfreude steigt auf Januar; und wer weiß – vll auch eines Tages Charmonix …´:-)

      • Antworten Harald Bajohr

        15. Oktober 2018, 15:32

        Danke für Dein Feedback Sandra! Das freut mich! Ich drücke Dir die Daumen für Dein großes Rennen im Januar und Charmonix kommt, wenn es Zeit ist. Ich drücke Dir die Daumen für weiterhin eine gute Vorbereitung und für den großen Tag; auf dass es unvergesslich wird 🙂 und das wird – es so oder so. Bestimmt!

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