Die beiden Damen an der Verpflegungsstelle am Wendepunkt hinter dem Hochgrat erwidern auf mein „nie wieder“ kopfschüttelnd: „Das hast Du doch letztes Jahr auch schon gesagt und jetzt bist Du wieder dabei. Und nächstes Jahr kommst Du bestimmt wieder“. Ich habe den Mund voll mit Melone, Weingummis und Müsliriegel, alles gleichzeitig und nebenher fülle ich auch noch meine Trinkblase auf. Irgendwie haben die beiden Damen ja vielleicht sogar recht. Hinter mir liegen 18Km feinstes Berglaufgelände, bis zum Ziel sind es noch 13 Kilometer. Wieder zurück zum Hochgrat, dann steil hinab und wieder hinauf. Der Stuiben mit seinem seilversicherten Sattel im Abstieg, der Steinberg und das Bärenköpfle, an die kann ich mich noch erinnern und alles das ist nicht ohne, doch bis dahin werde ich vom Wendepunkt noch ewig unterwegs sein.
Ich bin das Schlusslicht des überschaubaren Teilnehmerfeldes. Insgesamt starten beim Gebirgsmarathon maximal 100 Läufer:innen auf beiden Strecken, der 31Km Distanz und der Strecke über 15Km.
3050 Höhenmeter sind auf der Langstrecke ein Brett, doch auch die 1500 Höhenmeter auf der „Kurzstrecke“ sind anspruchsvoll. Ich hätte auch abkürzen können und am Scheidepunkt bei Kilometer 10 Richtung Ziel laufen können. 7 Minuten vor dem Cut Off sind nicht die Welt, aber die Menschen an der kleinen Verpflegungsstelle mitten im Berg ermuntern mich, weiter zu laufen. Und irgendwie steht mir das Aufgeben heute so gar nicht im Sinn. Und immerhin habe ich noch Sichtkontakt zu den beiden Teilnehmern vor mir. Spätestens als mir die Führungsriege entgegen kommt, bereue ich ein wenig meine Entscheidung, Für mich ist der Wendepunkt noch weit entfernt, gefühlt eine halbe Ewigkeit. Die Schnellsten legen die Strecke am Ende des Tages mehr als doppelt so schnell wie meine Wenigkeit zurück. Doch das zählt beim Gebirgsmarathon nicht, denn hier ist jede eine Heldin, jeder ein Held, der sich auf den Weg macht. An den technischen Highlights der Strecke rinnt die Zeit dahin. Aber ich möchte kein Risiko eingehen und lasse mir die Zeit, die ich benötige. Auf die paar Minuten mehr oder weniger kommt es jetzt auch nicht mehr an.
Den Sichtkontakt zu anderen Teilnehmer:innen habe ich schon lange verloren. Stattdessen muntern mich die Worte der Bergwanderer:innen auf, die mir entgegen kommen. Natürlich ziehen sich die letzten zwei Kilometer viel länger hin als erwartet und ich werde mein Ziel, schneller als letztes Jahr die Strecke zu absolvieren, nicht erreichen.
Endlich am Abzweig Alpe Oberberg winkt das Ziel und viele der 100 Teilnehmer:innen haben auf mich gewartet. So werde ich mit viel Beifall bei meinem Zieleinlauf belohnt. Respekt gebührt hier auch dem Letzten – heute leider keine Selbstverständlichkeit mehr. „Jetzt könnt ihr endlich abbauen“ rufe ich dem Sprecher und dem Organisator Marc Dürr im Ziel zu, die beide mit ihren insgesamt 20 Helfer:innen wieder einmal einen fantastischen Job gemacht haben. Irgendjemand reicht mir ein leckeres Zötler Gold mit den Worten „hast Du Dir verdient“. In der anderen Hand halte ich noch die riesige Käsebrezel, die statt einer Medaille als Belohnung gereicht wird. Es ist alles ein bisschen anders beim Gebirgsmarathon in Immenstadt.
Mein „nie wieder“ hält auch am nächsten Tag noch an. Die Beine schwer wie Blei, der Körper möchte sich nicht bewegen. Erinnerungsfetzen an sanftem Regen am Immenstädter Horn, Nebelschwaden auf dem Weg zum Hochgrat, die mich immer wieder einhüllten und das atemberaubende Panorama nur zu selten zuließen, die Kühe, um die ich vorsichtig herum spaziert bin, Schlamm, Matsch, rutschige Felsen und die Gewissheit, ein paar Ängste erneut besiegt zu haben.
Der 32. Gebirgsmarathon Immenstadt ist Geschichte und wieder einmal war ich ein Teil dieser kleinen, feinen und sehr anspruchsvollen Veranstaltung. Vielleicht dann doch bis nächstes Jahr.
Wer Lust hat, im nächsten Jahr dabei zu sein, wirft am besten einen Blick auf die Webseite des Immenstädter Gebirgsmarathons: gebirgsmarathon.com
Vielen Dank an jke-mediaproduction.de für das zur Verfügung stellen der Bilder für redaktionelle Zwecke.
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