Riesige Vorfreude und konditionell die beste Form meines Lebens begleiten mich auf die Reise in’s Zugspitzdorf Grainau zum Zugspitz Ultratrail.

    Zwei Wettkämpfe habe ich mir für dieses Jahr ausgesucht, Klasse statt Masse und so liegt der Fokus auf dem Zugspitz Ultratrail als absolutes Highlight, als Bestätigung des harten Trainings und der fast 2000 gelaufenen Kilometer in diesem Jahr. Und diese bei Schnee, Hagel, Regen, Matsch, über Stock und Stein, bergauf und bergab. Ich scheine also auf alles vorbereitet zu sein. Auch das Material stimmt, ich bin für alle Eventualitäten gewappnet.

    Soweit die Gedanken vor dem Start am 18. Juni, der auch noch mein Geburtstag ist. Ich schenke mir also einen Tag in den Bergen, was gibt es Schöneres für einen Trailläufer? Keinen einzigen Gedanken verschwende ich daran, dass ich nicht in’s Ziel kommen könnte, schließlich bin ich kein Neuling und habe unter anderem beim Zugspitz Ultratrail zuvor schon drei mal gefinished – auf verschiedenen Strecken, dabei einmal über die 100 Kilometer. Diese Strecke habe ich mir dieses Jahr auch ausgesucht.

    Die Stimmung bei der Pasta Party am Abend vor dem Start ist wie immer bestens. Die Nudeln lecker, die Portionen üppig, hier geht keiner hungrig raus. Emotionales Highlight ist der Einmarsch der in Tracht gekleideten Kinder mit den Nationenflaggen aller Teilnehmer. Ein deutliches Zeichen, wie grenzüberschreitend der Zugspitz Ultratrail ist und gerade in diesen Zeiten macht so ein friedliches multikulturelles Miteinander Mut. Noch bevor das obligatorische Streckenbriefing beginnt, öffnet der Himmel alle seine Pforten und es schüttet, als gäbe es kein morgen. Glücklicherweise sitzen alle im Trockenen, aber der Donner grollt, Blitze zucken und so manch einer macht sich Gedanken wie sich das wohl anfühlt, bei solchem Wetter morgen im Berg zu sein.

    Zum Start der 6. Auflage des Zugspitz Ultratrails werden alle Teilnehmer auf allen Strecken an den verschiedenen Orten mit schönem Wetter begrüßt und voller Optimismus geht es in die Berge. Dass das Wetter in den Bergen unberechenbar ist und sich blitzschnell ändern kann, ist bekannt. Die Wetterprognosen für das Rennen wurden vor dem Start bekanntgegeben. Regen sollte auf jeden Fall kommen, es waren alle darauf eingestellt und trotzdem hoffte wohl jeder, doch einigermaßen trocken über die Strecke zu kommen und die verpflichtende wärmende und vor Regen und Wind schützende Bekleidung nicht aus dem Rucksack holen zu müssen.

    Ich bin bekennende Optimistin und so machte ich mich bestens gelaunt und mit lockeren Beinen auf den Weg. Die Wege sind noch nass vom Starkregen und die Füße auch recht schnell, aber Trail ist eben draußen und da ist Wetter. Ich bin super unterwegs mit vielen netten Läufern und so vergeht die Zeit bis zum Verpflegungspunkt 3 bei Kilometer 27 wie im Flug.

    Das Zeitlimit liegt weit entfernt und trotz des heftigen Regens der eingesetzt hat, bin ich weiterhin bestens gelaunt und voll motiviert. Ich gehöre nicht zu den schnellen Läufern und bewege mich stets im hinteren Drittel der Rennen. Unsere Gruppe hat sich bereits verkleinert, denn einige haben sich an der Verpflegung untergestellt, um zu warten, ob der Regen aufhört, und der Rest macht sich mit mir an den Anstieg zum Feldernjöchl.

    Es beginnt zu graupeln und zu hageln, eiskalter Wind bläst und lässt High Tech Materialien, die wir am Körper tragen im wahrsten Sinne des Wortes „im Regen stehen“. Die Pfade sind rutschig wie Eis, knöcheltiefer Schlamm macht das Fortkommen sehr beschwerlich. Egal ob bergauf oder bergab, es ist kräftezehrend und nicht ungefährlich. Selten habe ich so viele Teilnehmer gesehen, die stürzen. Die Schneefelder bergab sind mit Seilen gesichert und technisch sicher noch der weniger anspruchsvolle Teil. An jeder Ecke steht die Bergwacht, der ein unfassbar großes Lob gebührt. Zu keinem Zeitpunkt fühlt man sich auf der Strecke unsicher, zumal sie perfekt markiert ist.

    Auf dem Weg bis Verpflegungspunkt 4 an der Hämmermoosalm bei Kilometer 40 greife ich einige Male in den Matsch wie auch Bryan, der Mann in Grün, mit dem ich fast schweigend die Strecke bewältige. Für ein paar Minuten gibt sich die Sonne die Ehre, während das Nass von oben kein Erbarmen kennt und spannt einen gigantischen Regenbogen direkt vor uns auf. Bryan’s Kommentar: „That’s the best moment of this race“ sollte sich bewahrheiten, was zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht offensichtlich ist. Sicher ist, dass egal ob man nun vorne oder weiter hinten läuft, es immer diese Momente für die Ewigkeit gibt und genau aus diesem Grund wird man wahrscheinlich zum Junkie. Je härter der Kampf, desto mehr Solidarität. Trailrun verbindet und letztlich sind es genau diese Begegnungen, an die man sich erinnert und die jeden Lauf zu etwas so Besonderem machen.

    An der Hämmermoosalm wieder ein Kommentar von Bryan: „This is gonna be a tough one“, den Blick auf die Uhr gerichtet. Ich nicke wortlos, denn das sind keine Neuigkeiten. Hart ist der Lauf ohnehin, aber allmählich befinden wir uns im Kampf mit dem Zeitlimit. Mein Kopf rotiert, ich rechne, ich schaue auf die Uhr und rutsche prompt auf nassem Matsch aus. Der Kopf muss auf der Strecke sein, die Konzentration auf den völlig ausgetretenen schlammigen Pfaden, sonst wird das nichts. Also, einfach alles geben! Mal ist Bryan vorne, mal ich, wortlos kämpfen wir weiter. Ich habe noch niemals ein Rennen nicht beendet, daher auch der Hochmut vor dem Rennen, keinen Gedanken daran zu verschwenden. Mein berühmter Optimismus schwindet mit jedem Meter dahin. Der Gedanke am Hubertushof bei Kilometer 55 auszusteigen wird zur Verlockung. 27 Minuten vor Zeitlimit erreiche in den Hubertushof. Bryan ist schon da und sagt nur: „Race is over for me here.“ Ich antworte: „Oh no“, mehr fällt mir leider nicht ein. Starkregen hat wieder eingesetzt und ich hole mir schnell meinen Wechselbeutel und ziehe mir trockene Sachen an und aktiviere die Stirnlampe. Der Hinweis: „In 10 Minuten schließen wir die Strecke, wenn Du also noch was von der Verpflegung willst…“ hallt in meinen Ohren. Ich fülle nur meine Getränke auf, denn Riegel und Gels habe ich genügend im Rucksack und mache mich auf in die Nacht.

    Der Regen prasselt, das Licht der Stirnlampe wird von der Nacht fast verschluckt. Vor mir nichts und auch der Blick hinter mich offenbart nur Dunkelheit. Ob ich wohl die Allerletzte bin? Aber dann müsste ja der Schlussläufer hinter mir sein und auflaufen? Bis zur nächsten Verpflegungsstelle am Schützenhaus Mittenwald gebe ich alles, laufe auf einen Spanier und einen Holländer auf und freue mich schon auf Gesellschaft, doch die beiden wollen gemütlich bis zum Schützenhaus spazieren und dort aussteigen. Ich laufe weiter und werde richtig belohnt. An der Verpflegungsstelle bei Kilometer 63 erwartet mich eine Girlande mit „Happy Birthday“, Luftballons, ein Kuchen mit Kerzen und ein Geburtstagsständchen. Ich freue mich riesig und es tut mir jetzt noch leid, dass ich in diesem Moment weder meiner Freude richtig Ausdruck geben, noch ein Stück des Kuchens essen konnte. Aber genau das macht den Zugspitz Ultratrail aus. Die Leidenschaft, mit der die Organisatoren und Helfer am Werk sind.

    Ich befinde mich zwischenzeitlich wieder 45 Minuten vor Cut-Off, habe also seit dem letzten Kontrollpunkt 40 Minuten gut gemacht. Optimistisch geht’s weiter, wann immer möglich im Laufschritt, denn ich kann das Ziel doch schon wieder im Geiste vor mir sehen. Kurz vor der nächsten Verpflegungsstelle laufe ich wieder auf jemand auf und freue mich. Endlich nicht mehr allein durch die Nacht. Doch auch er wünscht mir nur Glück und erklärt, dass er aussteigt. Wieder eine schöne Überraschung an der nächsten Verpflegung. Nicht nur, dass ich noch mal 5 Minuten herausgelaufen habe, sondern ein altbekanntes Gesicht, Norbert Hensen von der cng Sports & Media GmbH begrüßt mich. Ein wenig Smalltalk, zu mehr bin ich nicht fähig, nebenbei trinke ich Boullion und fülle alle Speicher auf. Ich versuche den Blick nicht auf die tränenüberströmten Gesichter, gezeichnet von den Strapazen und von Enttäuschung zu richten. Zu viele habe ich heute davon schon gesehen. Es ist der Lauf derer, die das Rennen frühzeitig beenden. Fernab des Glanzes der Sieger und Finisher. Sie haben hart trainiert, ihr Bestes gegeben, Zeit und Geld und Herzblut investiert und bleiben leer zurück. Man könnte behaupten, reich an Erfahrung, aber das hilft in dem Moment des Scheiterns auch nicht. Die Frage, warum nicht wie im letzten Jahr die Alternativroute gelaufen wurde, drängt sich auf. Sollte es doch wohl Ziel einer jeden Veranstaltung sein, möglichst alle Teilnehmer ins Ziel zu bringen. Aber die Elite und die Ambitionierten schreien nach größer, weiter, höher, spektakulärer und der Veranstalter hat die ehrenvolle Aufgabe, den Spagat zwischen Profis und Jedermann so hinzubekommen, dass alle auf ihre Kosten kommen. Keine einfache Aufgabe, die sicher auch bei anderen Trailveranstaltungen immer wieder für kontroverse Diskussionen sorgt.

    Meine Gedanken gelten derweil dem Weiterlaufen, zumal keiner der stets super freundlichen und hilfsbereiten Menschen an den Verpflegungsstellen Zweifel daran aufkommen lässt, dass ich nicht ankommen könnte. Mit dieser Bestätigung im Rücken setze ich meinen einsamen, dunklen, nassen und nun auch noch nebeligen Weg alleine fort. Als lange Zeit später Scheinwerfer hinter mir auftauchen, denke ich mir nichts dabei, doch als das Fahrzeug neben mir anhält, ist mir klar, das etwas nicht stimmt. Ich habe mich verlaufen. Noch niemals zuvor habe ich mich bei einem Rennen verlaufen und schon gar nicht wenn es so perfekt markiert ist, wie der Zugspitz Ultratrail. Sicher hat der Dauerregen die Kreide vom Boden gewaschen, aber Schilder und Trassierband sind überall zu sehen. Bei einem Richtungspfeil war ich mir nicht sicher. Ob der Wind daran gerüttelt hatte? Scherzbolde gezerrt haben? Jedenfalls habe ich genau an dem Punkt den falschen Abzweig genommen und nicht darauf geachtet, ob noch weitere Markierungen kommen. Zu sehr mit den Gedanken beschäftigt? Zu viel Regen und Nebel? Mit dem Gedanken, dass das Rennen jetzt für mich vorbei ist, steige ich zu den wieder einmal tollen Jungs von der Bergwacht in’s Auto.

    Doch diese offenbaren mir, dass ich das Rennen fortsetzen darf. Sie bringen mich mit dem Auto zu dem Punkt wo es den anderen Läufern gegenüber „fair“ ist, dass ich weiterlaufe. Auch wenn ich damit hadere weil ich weder eine Sonderbehandlung, noch einen Vorteil haben will, überzeugen mich die Männer, dass ich meinen Weg fortsetze. Ab dort direkt mit den beiden Schlussläufern hinter mir. Wieder Neuland für mich. Ich bin keine schnelle Läuferin, aber die Allerletzte war ich noch nie. Erstaunlicherweise ist mir das völlig egal.Verpflegungsstelle 8, 17 Minuten vor Cut-Off, über 80 Kilometer und mehr als 4000 Höhenmeter stecken in den Beinen. Aufgeben so kurz vor Schluss, keine Option für mich! Statt zwei begleitet mich jetzt nur ein Schlussläufer. Der Streckenchef preist ihn mir an: „Da hast du deinen ganz persönlichen Bergführer bei dir, die Rechnung kommt.“ Ich schmunzle, auch wenn mein Humor ein anderer ist.

    Wir machen uns also auf den Weg. Nur noch ein heftiger Aufstieg und nur noch 20 Kilometer. Der Morgen graut und offenbart sich mir als ein einziges Grauen. Fünf Minuten zu spät erreiche ich den zweitletzten Kontrollpunkt bei Kilometer 89 mit 50000 Höhenmetern im Körper. Regel ist Regel, da bin ich nicht böse und was man nicht schafft, für das ist man selbst und ganz allein verantwortlich. Schade nur, dass ich meinen Begleiter mehrmals fragte ob wir uns noch im Zeitlimit bewegen. Den Blick auf die eigene Uhr dachte ich mir so ersparen zu können, war diese doch unter mehreren Bekleidungsschichten vergraben. Man sollte sich eben immer nur auf sich selbst verlassen.

    Was bleibt ist eine tränenreiche Autofahrt in’s Tal und auch die nächsten Tage herrscht in mir einfach nur eine gähnende Leere und tiefe Traurigkeit. Mit dem Nichterreichen des Ziels bin ich in bester Gesellschaft und die hohe Ausfallquote ist ganz sicher nicht damit zu begründen, dass die Läufer unzureichend vorbereitet oder ausgerüstet waren, sondern vielmehr mit den Bedingungen auf der Strecke, die eben für die Läufer auf der langen Distanz die sich ab dem Mittelfeld bewegten ein Finish unendlich schwer machten. Sieger sind trotzdem alle, ob mit oder ohne Finishershirt und Medaille, denn jeder einzelne hat seinen eigenen kleinen oder auch größeren Kampf gehabt und ihn zumindest für sich selbst gewonnen.

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    4 Kommentare
    • Antworten Alexander

      27. Juni 2016, 12:18

      Toller, sehr sympathischer Bericht bei dem ich mich in vielen Punkten an meine eigenen Erfahrungen erinnert fühle.

      • Antworten Markus Neumann

        29. Juni 2016, 16:34

        Hallo Gritt, wir waren an diesem Tag mit einer Gruppe am Klettersteig der Alpspitze unterwegs und haben ebenfalls mit dem Wetter „gekämpft“. Im Abstieg haben wir über Stunden die Läufer, oder an dieser Steigung besser „Geher“, gesehen und mit jedem Meter habe ich bei mir gedacht: Mensch welch eine grandiose Leistung, egal wie weit hinten du läufst. Immer wieder dachte ich wie frustrierend muss das sein, unter diesen (Wetter-)Bedingungen einen solchen Wettkampf zu bestreiten, der selbst bei Top-Wetter für mich schon unfassbar ist . Ich finde deinen Bericht so verdammt ehrlich und sympatisch. Mach weiter.
        Viele herzliche Grüße,
        Markus

        • Antworten Gritt Liebing

          30. Juni 2016, 10:19

          Hallo Markus,
          Respekt! Der Klettersteig an der Alpspitze ist für mich unvorstellbar. So hat jeder eben seinen Sport und staunt über die, die etwas ganz anderes machen. Das Wetter hat mich gar nicht so sehr frustriert, habe ich doch viele, viele Kilometer bei übelsten Bedingungen trainiert. Geärgert habe ich mich über mich selbst, weil ich mein Zeitlimit nicht selbst im Auge behalten habe. Aber das ist ja Geschichte und so ein Kommentar wie Deiner macht mir Mut und freut mich. Vielen Dank dafür! Ich wünsche Dir noch viele tolle Klettersteige und tolle Erlebnisse in der wunderschönen Bergwelt!
          Viele Grüße,
          Gritt

      • Antworten Gritt Liebing

        30. Juni 2016, 10:09

        Hallo Alexander,
        das freut ich, wenn der Text auch einen Teil Deiner Erfahrungen deckt. Ich wünsche Dir weiterhin viel Spaß und Erfolg auf den Laufstrecken dieser Welt!
        Viele Grüße,
        Gritt

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