An einem Donnerstagabend um 21:00 Uhr fiel für Rainer Hank an der Nebelhornbahn in Oberstdorf der ganz persönliche Startschuss zu seiner Alpenüberquerung bis nach Vernagt in Südtirol.
    Bild: Rainer Hank

    Ein Lebenstraum
    Einmal den E5 in Alleinregie laufen, das war für Rainer Hank so etwas wie ein Lebenstraum. Nach zwei Anläufen, die von Regen und Schneefall unterbrochen wurden, entschied sich der passionierte Ausdauersportler die schöne Wetterfront auszunutzen und machte sich spontan auf den Weg. Vor ihm lagen rund 150 Kilometer und 8.000 Höhenmeter im Auf- und 7.000 Höhenmeter im Abstieg, die er nonstop und ohne Übernachtung hinter sich bringen wollte. Zehn erfolgreiche IRONMAN-Finishs, Teilnahmen am Transalpine Run, Lavaredo Ultratrail oder dem Ultra Trail Atlas Toubkal gehören zur sportlichen Vita des begeisterten Ausdauersportlers. Bevor er seine Art des Trailrunnings entdeckte – nicht gegen, sondern mit der Natur. Nicht gegen die Uhr und mit vielen anderen, sondern alleine. So führte ihn sein erstes Solo-Projekt in die schottischen Highlands zum West Highland Way über 150 Kilometer. Doch die Alpenüberquerung auf dem E5 von Oberstdorf, seiner Allgäuer Heimat ins Schnalstal nach Südtirol blieb bis zu diesem Morgen ein unerfüllter Traum.

    Der Weg ist das Ziel
    Der E5 mit seinem bekanntesten Abschnitt von Oberstdorf nach Vernagt führt durchs Trettachtal zur Kemptner Hütte, über das Mädelejoch nach Holzgau im Lechtal, durch das Madautal hoch zur Memminger Hütte, nach Überschreiten der Seescharte nach Zams im Inntal, über den Krahberg nach Wenns und von dort durch das ganze Pitztal hoch zur Braunschweiger Hütte auf knapp 2.800 m. Ab dieser grandiosen Gletscherwelt verläuft die Alternativroute des E5 am Alpensüdkamm entlang nach Vent, dem letzten Ort vor dem langen Aufstieg durch das Niedertal über die Martin-Busch-Hütte hoch zum Similaun-Gletscher und der gleichnamigen Alpinhütte auf über 3.000 Meter. Dort oben sieht man schon den türkisfarbigen Vernagt-Stausee in Südtirol, dem Sehnsuchtsziel der Alpen-überquerer. Wanderer absolvieren den E5 in der Regel in 6 Tagesetappen mit 5 Hüttenübernachtungen. „Ich habe in den vergangenen Jahren schon zwei Mal den Versuch unternommen, bin dann beide Mal allerdings wetterbedingt in Zams zum Aufgeben gezwungen worden“ schildert Rainer Hank seine Vision, die Alpen ohne Übernachtung zu überqueren. „Als der Wetterbericht für das Wochenende nach dem Vollmond für vier Tage Schönwetter vorhersagte und zwar für den ganzen Alpenhauptkamm, war für ihn klar: jetzt oder nie!

     

     

    Genuss pur
    Für den erfahrenen Ultratrailläufer war der Laufrucksack schnell gepackt und am Donnerstag um 21:00 Uhr begann am Fuße des Nebelhorns der Lauf über die Alpen. Ein kurzer Ratsch mit Einheimischen am Oytalhaus, eine Verschnaufpause Nachts an der Kemptener Hütte und bei sternenklarer Nacht war schnell das Lechtal und die Materialseilbahn am Ende des Madautals erreicht. Mit dem Sonnenaufgang hoch zur Memminger Hütte, leckeren Kaffee getrunken und bei sehr warmen Temperaturen hinunter nach Zams. „Mein Anspruch war es, die Überquerung ohne Übernachtung zu schaffen und dabei die herrliche Bergwelt zu genießen, ohne dabei die Tour zur Tortur werden zu lassen.“ Deshalb, so Rainer Hank, habe er sich die mühevollen 1.400 Höhenmeter Aufstieg zum Krahberg erspart und hat mit den Weitwanderern die Bahn hinaufgenommen.Von dort ging es in flottem Tempo Richtung Wenns, denn die langweilige Durchquerung des Pitztals hat er durch eine Fahrt im Postbus ersetzt, dessen letzte Fahrt um 19:30 Uhr er gerade so erwischte.

    In Mandarfen fand zeitgleich eines der wenigen Trail Running Events in diesem Jahr statt, der Pitz Alpine Glacier Trail. Nach den einzigen dreieinhalb Stunden Schlaf in Mandarfen, dem Startort des Events, begann am Morgen um 2 Uhr 30 der Aufstieg zur Braunschweiger Hütte. Immer den im Mond glitzernden Gletscher im Blick und unterbrochen durch die Stirnlampen der entgegenkommenden Trailrunner des Wettbewerbs. „Die Sterne am Himmel, der Gletscher und die aufkommende Dämmerung über den Dreitausender der Region hatten etwas Magisches, ich konnte mich gar nicht satt sehen“ schwärmt Rainer Hank.

    Ein kräftiges Frühstück zusammen mit E5 Wanderern in der gut gefüllten Braunschweiger Hütte und die Überschreitung des Pitzjöchl, Abstieg zum Gletscherskigebiet Sölden und Fußmarsch durch den Tunnel zum Tiefenbachferner waren schnell geschafft.

    Ab jetzt war Genuss für die Augen angesagt. Auf dem Panoramaweg bei dauerhaft über 2.000 m und herrlichem Sonnenschein nach Vent. Immer den Similaun mit seinem Gletscher im Blick. „Im Laufschritt erfordert der Weg höchste Konzentration, vor allem nach 2 Nächten ohne große Pause“ erklärt Rainer. Die Wasserversorgung war durch die vielen Bergbäche immer gegeben. So auch am schweißtreibenden Aufstieg zum höchsten Punkt der Überquerung, der Similaunhütte auf 3.019 m. Eine kleine Rast an der Martin-Busch-Hütte und dann über schroffes Gletschergestein um 17.00 Uhr am Gipfel angekommen.

     

     

    Das eigene Ich bezwungen
    Damit auch die Grenze zu Italien erreicht und bis zur Erfüllung seines Traumes waren für Rainer Hank nur noch 1.300 Höhenmeter hinunter zu überwinden. Um 18:45 Uhr war es dann geschafft. Vernagt und sein Stausee waren nach 39 Stunden erreicht. Nach insgesamt 145 km (davon 120 km gelaufen), 8.039 Höhenmeter im Aufstieg und 7.101 Hm im Abstieg. „Es war eine unglaubliche Erfahrung! Trotz der Anstrengung habe ich jede Minute genossen. Dieser Lauf über die Alpen hat unglaublich viel Energie in mir freigesetzt und meinen Blick auf viele Dinge neu justiert. Ich würde es jederzeit wiederholen“ so Rainer Hank. Und weiter erklärt er: „Ein erhabenes Gefühl machte sich in mir breit. Und es war genau, wie ich es mir vorgestellt hatte. Nicht das Ziel löste diese ungeheuren Emotion aus, sondern es war nur die Krönung meines 1,5 tägigen Laufs über die Alpen. Ich empfand  eine tiefe Dankbarkeit an die Natur, dass ich dies so erleben konnte. Die Gebirgsbäche, die Alpenblumen, die vielen kleinen Tiere nachts auf den Wegen, aber auch die Einzigartigkeit der -noch existenten Gletscher. Ich habe viel über mich erfahren und in der Höhe gewinnt man Abstand zum Alltag, aber auch Weitblick für sich selbst. Das ist das beste Coaching für einen selbst, Erdung und Vision zugleich. Denn nicht der Berg ist es, den man bezwingt, sondern das eigene Ich.“

    Text: Rainer Hank

     

     

    Bild: Rainer Hank
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