In 23 Tagen und nach 720 Kilometer und 55.000 Höhenmetern liefen Eva Sperger und Johannes Schmid von Grainau nach Chamonix - Philip Reiter führte mit Eva Sperger ein Interview nach ihrer Ankunft in Chamonix.

    Eva Sperger und Johannes Schmid starteten mit nur drei Kilogramm Gepäck zu einer gemeinsamen Alpenüberquerung der besonderen Art. In 23 Tagen bewältigten die beiden 720 Kilometer und 55.000 Höhenmeter auf dem Weg von Hammersbach in Grainau über die Zugspitze bis nach Chamonix. Es ging ihnen nicht nur darum, die schnellste Route zu wählen, sondern auch noch etliche Hochtouren zu integrieren und die „höchst mögliche Linie“ mitzunehmen. Jeder Tag war ein neues Abenteuer und eine Herausforderung, nicht nur in sportlicher Hinsicht. Was bleibt sind unvergessliche Erinnerungen, an die die beiden immer mit einem Lächeln zurückdenken werden.

     

     

    Die Motivation? Wie kommt man auf die Idee, von Garmisch nach Chamonix zu laufen?
    Mein Freund und ich wollten uns als Paar im Urlaub einer ganz besonderen Herausforderung stellen. Als Psychotherapeutin und Sportlerin beschäftige mich gerne mit Zielvisionen. Für mich war zum einen die Frage: Was ist das denkbar Beste, was ich mir für unsere Beziehung vorstellen kann? Dabei ist die Idee für unser Projekt entstanden. Uns gefiel die Idee, vom höchsten Punkt Deutschlands zum höchsten Punkt der Alpen auf möglichst anspruchsvollem Weg zu laufen. Da durch Corona der UTMB in diesem Jahr abgesagt werden musste, und damit nun schon eineinhalb Jahre Vorbereitung darauf hinfällig sind, war es toll in dieser ganz besonderen Art ins „Ziel“ am Marktplatz von Chamonix laufen zu können. 

    Foto: Hendrik Auf´m Kolk
    Foto: Hendrik Auf´m Kolk

    Welcher Tag war der härteste? Wieso? 
    Der schlimmste Tag war für uns beide als Johannes beim Abstieg vom Allalinhorn im Wallis schwer umgeknickt ist. Es war sofort klar, dass etwas kaputt ist. Der Knöchel war abends in Zermatt tennisballgroß geschwollen und wir haben sofort alle weiteren Hütten und Buchungen abgesagt. Wir haben nicht geglaubt, dass die Diagnose am nächsten Tag so ausfallen würde, dass es weitergehen kann – zwar unter Schmerzen, aber zu verantworten. An dem Tag in Zermatt haben wir beide vor Enttäuschung kaum ein Wort gesprochen. Es herrschte betretenes Schweigen und es grenzte fast an ein Wunder, wie schnell sich die Schwellung legte. Erstaunlicherweise waren die Tage mit Dauerregen und Schneefall am Arlberg überhaupt nicht schlimm, sondern eher lustig für uns. Diese Touren hätten nicht fehlen dürfen! 

     

     

    Alpenüberquerung als ultimative Paar-Therapie?! Gab es oft Streit Würdest du sagen ihr versteht euch jetzt besser als vorher?
    Wir glauben ja oft, die Liebe bleibt einfach bestehen, ohne dass wir etwas dafür tun müssen. Ich bin ein ganz schlimmer Rationalist und glaube eher, dass es wichtig ist, die Beziehung immer wieder neu aufleben zu lassen und bewusst etwas zu investieren. Der gemeinsame Weg hat uns ganz bestimmt viel mehr miteinander verbunden und wir haben eine riesige Sammlung toller Momente geschaffen, auf die wir zurückblicken können. So ein Projekt, das jeden Tag neue Überraschungen und Herausforderungen zu bieten hat, könnten wahrscheinlich nur ganz, ganz wenige Paare angehen. Das schätzen wir beide sehr und machen es uns oft bewusst. Erstaunt waren wir, wie wenig Konflikte es tatsächlich gab. Wir hätten damit gerechnet, dass wir uns viel mehr auf die Nerven gehen, drei Wochen lang, 24 Stunden täglich eng zusammen. Allerdings haben wir sofort bei aufkommenden Konflikten in die „therapeutische Schatzkiste“ gegriffen und mit verschiedenen Techniken Probleme aus dem Weg geräumt. 

     

     

    Foto: Hendrik Auf´m Kolk

    Eine Ausrüstung von knapp unter 3 Kilogramm – was hatte in deinem Rucksack da Platz?
    Eine der wichtigsten Erkenntnisse für uns beide ist, wie schön es war, materiell aufs aller Nötigste reduziert zu sein. Die Tage bestanden aus Frühstück, Laufen, Essen, Ausruhen, Essen und Schlafen. Jetzt wieder die Auswahl zu haben und damit so viele Entscheidungen treffen zu müssen, hat uns beide eher überfordert, sodass wir uns weniger auf unsere deponierten Pakete freuen konnten, als wir dachten. Die Erkenntnis von „live simply“ wollen wir auf alle Fälle in irgendeiner Form im Alltag weiterleben lassen. Was hatte Platz? Zwei T-Shirts, Laufhose und Hose für abends, wobei man dabei eher von einem Hauch von Nichts reden kann. Waschmittel, Salztabletten, ein langes Shirt, Regenjacke, Regenhose mit 80 Gramm und Essen. Bis auf Zahnpasta und Haarkur war es so viel mehr nicht. Schuhe hatten wir nur das Paar Laufschuhe dabei. Damit sind wir sogar durch knietiefen Schnee gekommen. Das bedeutete allerdings, auch am Abend mit nassen Schuhen zum Essen zu gehen.
    Für die Hochtouren war es freilich mehr, die Ausrüstung hatten wir in unserem Hotel im Wallis hinterlegt. 

    Wo habt ihr übernachtet und wie habt ihr es mit der Verpflegung tagsüber gemacht? Beziehungsweise was habt ihr gegessen? Beim Laufen ist der Magen ja doch wie ein großer Shaker.
    Wir haben anfänglich lange überlegt, ob die Gefahr größer ist, das Ziel nicht zu erreichen und alles absagen zu müssen oder spontan keine Übernachtung mehr zu bekommen. Vor allem in der Hochsaison im August – im COVID-19 Jahr – auf den Hochgebirgshütten, ohne Alternative. Deshalb haben wir uns dazu entschieden, alles vorab zu buchen. Wir haben dann auf Hütten, teils auf 3000 Höhenmetern oder im Tal in Hotels übernachtet. Die letzte Nacht sogar im Zelt. 

    Ich hatte damit gerechnet, dass Magenprobleme ein riesiges Thema wird. Im Vorfeld habe ich sogar mit einem Professor telefoniert, der ein Buch über den Darm und Stress geschrieben hat. Es war dann total erstaunlich für uns, dass wir selbst nach riesigen Mengen Frühstück nie Probleme bekommen haben. Meine Lieblingsnahrung ist ein Getränkepulver von Hammer, das viele Nährstoffe abdeckt und Protein enthält. Sonst schwören wir beide während des Laufens auf Milchbrötchen, Bananen und Bärli Biberli (eine Schweizer Spezialität). Wasser haben wir aus allen möglichen Bächen getrunken, bei denen wir oberhalb keine Tiere vermutet haben. Auch das ging ohne Probleme. 

     

     

    Foto: Hendrik Auf´m Kolk

    Das lustigste Erlebnis? 
    Der lustigste Moment war direkt bei der 3. Etappe. Es hat stundenlang in Strömen geregnet und wir haben für die Strecke ewig gebraucht, weil so viele unerwartete, seilversicherte Kletter-Stellen gekommen sind. Ein Kar nach dem anderen kam und wir kaum vom Fleck. Wir wollten dann eine „einfachere“ Strecke laufen, sind dabei wieder an ein Schild gekommen mit Aufschrift „schwerer Steig, nur für Geübte“. Auf dem Weg, der nicht als Track auf der Uhr war, haben wir uns immer wieder in verschiedene Richtungen verlaufen, weil so viele Wege von Schafen ausgetreten waren und im Nichts endeten. Nach dieser Odyssee, die wir mit stoischer Gelassenheit aufgenommen haben, sind wir endlich an der rettenden Hütte oberhalb unseres Zielortes angekommen. Dort saßen wir triefend nass, eng an den Kachelofen geschmiegt und haben binnen zehn 10 Minuten vier riesige Stück Apfelstrudel mit Sahne und heißer Schoki inhaliert. Darüber müssen wir immer noch lachen. Zudem haben wir ein paar spannende Hotelbesitzer und Hüttenwirte kennengelernt. Die Besitzerin eines bis auf den letzten Millimeter mit Krimskrams vollgestopften Hotels namens „Crusch Alva“ war nachmittags schon völlig betrunken und hat uns kurzerhand einen Taschenrechner in die Hand gedrückt, um unsere Rechnung selbst auszurechnen. Und ein Hüttenbesitzer war dabei, der nach seinen Geschichten Tiefseetaucher in der Ostsee und Stripteaslokalbesitzer war und mit seinen Porschegeschichten beeindrucken wollte. Was davon wohl gestimmt hat? 

    Foto: Hendrik Auf´m Kolk

    Die Location wo ihr auf jeden Fall wieder zurückkommen wollt. 
    Wir möchten nochmals bei schönem Wetter das Verwall sehen. Der Blick ist uns durch das Wetter entgangen. Landschaftlich hat mich am meisten der Abstieg nach Bonatchisse im Wallis mit Blick auf den Stausee beeindruckt und das kleine, versteckte ganz ursprüngliche Örtchen Alpe Devero im Piemont mit seinen türkisblauen Seen. 

    Laufen und Hochtouren – eine gute Kombination? 
    Oh ja, das hat nochmals eine ganz neue Dimension eröffnet, plötzlich mit Seil und Steigeisen ausgerüstet, den Weg über die Gletscher und Grate auf 4000 Höhenmeter zu suchen. Zugegeben, der Rucksack wurde schon recht schwer und die Organisation des Gepäcks war ziemlich herausfordernd (stehe grade am Bahnhof von Martigny, während ich das schreibe und hole eine riesige Kiste Ausrüstung zurück nach Chamonix). Aber den Aufwand und die aufgeriebenen Stellen auf Schultern und Rücken waren es wert. Wir hätten allerdings noch gerne zum Abschluss den Mont Blanc bestiegen, was wegen großer Steinschlaggefahr auf der geplanten Route nicht möglich war. Grade versuchen wir, es noch für die kommenden Tage zu organisieren. 

    In wie weit spielt mentale Stärke bei so einem Projekt eine Rolle? 
    „Challenge yourself“ könnte man als Schlagwort oder Überschrift über unser Projekt schreiben. In den Extremen lernt man sich auf eine ganz neue Art kennen und die eigenen Grenzen verschieben sich. Eine Freundin hat uns zu Beginn mit auf den Weg gegeben, dass wir nicht mehr dieselben Personen sein werden, wenn wir den Schlüssel wieder in unsere Haustüre zuhause stecken. Damit hat sie ganz bestimmt Recht behalten. Es gibt ein Ziel, diesem hat man sich zu 100% verschrieben. Solange es nicht ganz klare, physische Grenzen gibt, die keinen weiteren Schritt erlauben, geht es weiter. Und dabei, mit all den aufkommenden, inneren Widerständen umzugehen, ist der Bereich, in dem unglaublich viel Lernen stattfindet. Wir sind der festen Überzeugung, dass jeder, der so etwas angeht, garantiert etwas gewinnt: psychische Widerstandsfähigkeit und sehr viel Selbstvertrauen. 

    Foto: Hendrik Auf´m Kolk

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