Als mich am 31. Mai die Nachricht der Pressekoordinatorin der UTMB-Organisation erreichte, sie habe festgestellt, ich sei noch nicht akkreditiert und die Frist laufe mit diesem Tag ab, war ich an einem der Tiefpunkte in meinem Sportlerleben angekommen.
Trotzdem packte ich die letzte Chance am Schopf und schickte die Akkreditierung für den UTMB 2018 auf den Weg. Nur einen Tag später erreichte mich eine Nachricht vom deutschen Columbia-Team, dass man sich freuen würde, wenn wir wieder live und vor Ort dabei wären, um vom weltweiten Trailrunning-Gipfel zu berichten – sei es als Teilnehmer oder als Beobachter.
Doch einmal ehrlich, wie lässt sich die Atmosphäre dieses einzigartigen Laufes besser einfangen, als selbst auf den Originalstrecken am Start zu stehen? Und wenn man schon einmal die Qualifikationspunkte zusammen hat … . Zu diesem Zeitpunkt waren es allerdings wieder einmal andere, die an mich glaubten und meinem Kampfgeist nach und nach wieder auf die Sprünge halfen. Doch wie zieht man sich aus dem Sumpf aus Schmerz, Verletzbarkeit, Aufgabe und Selbstmitleid? Einzig meine Lebensgefährtin hatte noch nie den Glauben an mich verloren und seit dem 31. Mai 2018 sollte ich lernen, dass es noch viele andere Möglichkeiten gibt, seine innere Mitte wiederzufinden. Und so nimmt das für mich unglaubliche Unternehmen UTMB 2018 Formen an.
Nerven bahnen, Mitte finden
Mein Zentrum war so ziemlich aus dem Gleichgewicht gekommen. Schuld daran, eine Sprunggelenksverletzung, die ich mir beim Swiss Irontrail 2015 zugezogen hatte und mich seitdem mal mehr und mal weniger behinderte. Schmerzlose Trainingsausflüge waren seitdem eine Seltenheit, bei den wenigen Rennen, die ich seitdem absolvierte verflüchtigte sich der Schmerz und kam danach mit geballter Kraft zurück. Als ich in meiner Physiopraxis, in der ich ein wenig Kraft- und Koordinationstranig betreibe, von dem UTMB erzähle, sind alle Feuer und Flamme, außer mir selbst. „Das müssen wir bis dahin in den Griff kriegen und das schaffen wir auch“ so die Worte des Besitzers Daniel, den ich bislang von meiner ganz persönlichen Problematik mehr oder weniger verschont hatte. Seitdem genieße ich Sonderbehandlung bei seiner Kollegin Christina, die vielleicht über magisch-heilende Hände verfügt, aber wahrscheinlich vielmehr über Methoden, die mich nach und nach die innere Mitte wiederfinden und den Schmerz besiegen lassen. Einmal in der Woche bahnt sie mein ohnehin angespanntes Nervenkostüm durch und kombiniert den passiven Reset des Körpers mit aktiven Koordinationsbewegungen. Manchmal ist Christina aber einfach nur Zuhörerin und gibt mir den Raum, mich komplett zurück zu ziehen und zu entspannen. Den jahrelang von mir betriebenen Raubbau am Körper fangen wir auf, durchbrechen alte Bewegungsmuster und so ganz nebenbei lerne ich, neu zu laufen. Der Weg ist oftmals steinig, denn aller Neuanfang ist schwer. Aber der Erfolg stellt sich zusehends ein und endlich ist seit langer Zeit schmerzfreies Laufen wieder möglich.
Erfahrung versus Laufkilometer
Die Laufkilometer sind in den vergangenen Monaten auf der Strecke geblieben. Dafür haben die Radkilometer zugenommen, genau so wie der Aufbau der Stützmuskulatur. Für mich wieder ein neuer Erfahrungswert – Training ist nicht nur gleich Laufen.
Training ist das ausgewogene Verhältnis von Kraft, Koordination, Laufen und ergänzenden Sportarten. Fast 20 Jahre habe ich mich – abgesehen von wenigen Ausnahmen – auf das reine Laufen konzentriert, weil das Laufen die einfachste Sache der Welt ist. Schuhe an und los geht´s, mehr brauchte ich nicht, um mich frei und glücklich zu fühlen. Doch das Schicksal hat mir gezeigt, dass es auch andere Wege gibt, um seinem Körper auf die Sprünge zu helfen. Sicher könnte ich mich heute über mich selbst und die späte Erkenntnis ärgern, aber wie heißt es so schön? Alles hat seine Zeit und das ist gut so – basta! Den mangelnden Laufumfängen setzte ich neben einem ausgewogenerem Training noch etwas entgegen: Die Erfahrung. Immerhin konnte ich den UTMB schon dreimal ins Ziel bringen, im vergangenen Jahr absolvierte ich den TDS. Ich weiß, wie lang ein Kilometer sein kann und kenne das Gefühl, über die Trails zu fliegen. Ich weiß, wie die Kälte der Nacht dem Körper die letzte Energie raubt und wie man sich den Sonnenaufgang herbei sehnt. Erfahrung ersetzt nicht jeden, dafür aber einige Laufkilometer.
Duftnoten statt Schmerzmittel
Ich habe in den letzten drei Jahren viele Gedanken an Schmerzmittel verschwendet und bin doch standhaft geblieben. Sie mögen den temporären Schmerz nehmen, ändern aber nicht die Ursache. Die Kraft der Natur wird viel zu oft belächelt und die Schulmedizin stimmt gerne ein in dieses Gelächter. Lassen wir klinische Studien beiseite, denn am Ende geht es doch nur um´s eigene Wohlbefinden und das, was einem selbst gut tut. Manchmal entdeckt man neue Möglichkeiten erst dann, wenn es keine offensichtlichen Lösungen mehr gibt. Es ist wie das Klammern an einem Strohhalm, der oftmals zu einem Rettungsanker mutiert. Und so lasse ich sie einfach auf mich wirken, natürliche Düfte, die zur Entspannung beitragen und Abwehrkräfte mobilisieren oder pflanzliche Tropfen-Mixturen, auf die mein Seelenleben offensichtlich anspringt. Das Ergebnis zählt und wenn ich die letzte Kontrollstelle des UTMB 2018 nach guten 165 Kilometer im Rahmen des Zeitlimits passieren sollte, dann gibt mir der Erfolg recht. Doch auch so verspricht der Weg, den ich eingeschlagen habe, ein neues Gefühl – ein neues Körpergefühl, ein Gefühl der Zuversicht und des Selbstvertrauens. Wie sagte Physiotherapeut Daniel: „Das kriegen wir hin – wir müssen dich nur wieder ins Lot bringen.“ Mehr als der Anfang ist gemacht, der Weg nach Chamonix zum UTMB 2018 ist bereitet.
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