Mit Fug und Recht darf ich nach diesem überstandenen Abenteuer sagen: Der Transgrancanaria zählt zu den härtesten Trailrunning-Wettbewerben, an denen ich jemals teilnehmen durfte. Bizarr, wild und tückisch.

    Manche Träume benötigen einen langen Weg. Der Transgrancaria stand lange auf meiner Wunschliste. Die Insel einmal zu durchqueren, offenbarte sich allerdings immer als ein Unterfangen, das mir eine Nummer zu groß erschien. Heute weiß ich, dass ich an dieser Herausforderung unzweifelhaft hätte scheitern können. Denn schon die Marathondistantz, die jedes Jahr im Rahmen des Transgrancanaria angeboten wird, zählt zu den technisch anspruchsvollsten Strecken, die meine bisherige Laufkarriere geziert haben. Nicht nur die 45 Kilometer mit ihren 1.900 Höhenmeter haben ihre Tücken, das Wetter ist schlichtweg unberechenbar.

    Bild: Harald Bajohr

    Als wir morgens zum Startort nach Tejeda im Norden der Insel aufbrechen, begrüßt uns der Morgen mit einem tiefblauen und mit ein paar harmlosen Wolken durchzogener Himmel. Nur langsam setzt sich die Sonne in der Dämmerung durch. Die Temperatur ist angenehm und liegt bereits bei 18 Grad. Es tut gut, dem frostigen Winter in der Heimat entkommen zu sein. Das Schauspiel der Natur mit der über dem Meer aufgehenden Sonne ist schon jetzt atemberaubend. Gute zwei Stunden benötigen wir für die Fahrt von unserer Destination nahe Las Palmas bis nach Tejeda. Die Straßen quer über die Insel sind eng, die Abgründe tief. Mehr als einmal müssen wir stoppen, um den Gegenverkehr mit hauchdünnem Abstand passieren zu lassen. Schon diese Fahrt ist nichts für schwache Nerven. 

     

    Bild: Harald Bajohr

    In Tejeda begrüßt uns Regen. Die Temperatur liegt hier weit unter 10 Grad. Der Traum von einem Lauf in kurzen Klamotten bei sonnigem Wetter ist soeben geplatzt. Aus dem Rucksack zerre ich die komplette Ersatzbekleidung: Langes Shirt, Regenjacke, Mütze. Nur die Handschuhe und die Regenhose bleiben verstaut. Die meisten meiner Mitstreiter:innen drängeln sich unter die schmalen Vordächer der kleinen Geschäfte im Stadtzentrum von Tejeda. Es ist ein kleines Städtchen, das auf den ersten Blick wenig Attraktives zu bieten hat. Und doch besticht es durch ein unbeschreibliches Flair. Die angespannte Stimmung begleitet laute Musik. Mal Partymusik wie bei einer Strandfete, mal spanische Künstler:innen fast schon mit folkloristischem Ansatz, die zumindest die Herzen der heimischen Läufer:innen erfreuen.

     

    Bild: Harald Bajohr

    Fünf Minuten vor dem eigentlichen Startschuss kommt der Hinweis, dass sich der Start um ein paar Minuten verzögern wird. Ein Bus mit Teilnehmer:innen wurde aufgehalten und ist noch unterwegs. Noch länger im mal sanften und mal heftigen Regen warten, bis das Abenteuer beginnt. Dann endlich erreichen auch die letzten Läufer:innen den Start in Tejeda und mit 20 Minuten Verspätung geht es endlich los. Es scheint, als sei der Himmel in diesem Jahr auf der Seite des Transgrancanaria – der Regen stoppt schon nach den ersten Metern und vorsichtig zeigt sich ein blaues Wolkenloch über uns. Gleich wird es wieder wärmer und zumindest Jacke und Mütze können wieder im Rucksack verstaut werden.

     

    Bild: Harald Bajohr

    Zunächst geht es steil bergab und schon staut sich das Feld. Ohne nennenswerte Schwierigkeiten auf den ersten Metern geht es nur sehr zäh vorwärts. Immer wieder stehen, warten, langsam weiter wandern. Das änderst sich auch nicht mit den ersten Höhenmetern. Der Weg ist zu schmal, um überholen zu können und ich habe einmal mehr den Fehler gemacht, mich ganz hinten einzureihen. Erst viel später kann ich Meter gut machen, überholen und meinen Rhythmus finden. 

     

    Bild: Harald Bajohr

    Es ist ein langer, kräftezehrender Weg zum Roque Nublo, dem höchsten Punkt der Strecke. Die Anstiege steil wie Wände, der Untergrund meistens felsig, staubig, steinig. Das Panorama wie in einer bizarren Mondlandschaft. Endlich ist der Roque Nublo erreicht. Die Felsformation versinkt im Nebel genauso wie der Ausblick. Hier am Wendepunkt geht es wieder zurück bis zum Abzweig Richtung erste Verpflegungsstelle. 2:38 Stunden benötige ich bis zu dieser Wasserstelle. Absolviert sind gerade einmal 10 Kilometer.

     

    Bild: Harald Bajohr

    Selten lugt die Sonne aus dem Himmel und schenkt schnelle Wärme. Dann wieder tauchen wir ein in eine Nebelwand, die trotz der Anstrengung frösteln lässt. Mal ist der Wind sanft und angenehm warm, dann wieder so kalt, dass die Mütze den Kopf und die Ohren schützen muss. Was auf dem Streckenprofil nicht sonderlich spektakulär aussieht, ist technisch anspruchsvoll. Auf den bergab-Passagen kann zumindest ich es nicht „rollen“ lassen. Mein Respekt vor diesem groben felsigen Untergrund ist zu groß. Bloß kein Risiko eingehen, das bleibt meine Devise. Ob hinauf oder hinunter, es geht immer extrem steil zu. Jeder Meter will hart erkämpft sein. Endlich ist die erste richtige Verpflegungsstation in Tunte erreicht. Wasser ist auf dieser Strecke das kostbarste Gut. Frisch gestärkt geht es weiter. Mittlerweile bin ich über 6.30 Stunden unterwegs und meine Zweifel, das Ziel vor dem Cut Off zu erreichen sind groß. Vor dem nächsten steilen Abstieg erscheint endlich das 20Km Schild. „Nur noch“ geht es mir durch den Kopf und statt Freude überwiegen die Zweifel. Diese „Marathondistanz“ bringen mich an meine Grenzen. 

     

    Bild: Harald Bajohr

    Schließlich erreiche ich nach vielen inneren Krisen die zweite große Verpflegungsstation in Ayagaures mit einem komfortablen Puffer vor dem Cut Off. Von hier aus sind es noch 14 Kilometer bis ins Ziel mit einem Anstieg und dann nur noch – laut Streckenprofil – sanft bergab. Die nächsten Höhenmeter sind wenig spektakulär und führen meistenteils über eine breite Schotterstraße. Oben angekommen wartet hinab wieder der felsige, so schwierig zu laufende Untergrund. 

     

    Bild: Harald Bajohr

    Die letzten 10 Kilometer bis ins Ziel sind alles andere als ein Spaziergang und ich zolle jetzt schon höchsten Respekt all jenen, die an den zwei langen Distanzen teilnehmen und denselben Weg ins Ziel nehmen müssen. Die Strecke führt durch einen ausgetrockneten Flusslauf. Kleine giftige Anstiege rauben die letzten Kräfte bis es endlich wieder auf eine breite Schotterstraße Richtung Ziel geht. 

     

    Bild: Harald Bajohr

    Die letzten drei Kilometer ziehen sich wie ein endloser Weg dahin. Die Dämmerung setzt bereits ein und wäre ich nur ein paar Minuten später dran, müsste ich die zur Sicherheit mitgeführte Stirnlampe aus dem Rucksack befreien. Dann endlich lasse ich die bizarre Landschaft hinter mir und tauche ein in die Zivilisation. Die letzten Meter führen an der Sportanlage Richtung Ziel vorbei und ich bin einfach nur froh, dieses erreicht zu haben. 9:17h habe ich für diese 46 Kilometer gebraucht. Doch was zählen Zeiten? Ich fühle mich in diesem Moment einfach nur leer und am Ende meiner Kräfte. Der Stolz, ein ungewöhnliches Laufabenteuer bestanden zu haben, hält erst viel später Einzug.

     

    Bild: Harald Bajohr

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