Seit Mitte der neunziger Jahre ist Tim Böhme in der nationalen und internationalen Elite des Mountainbike-Sports nicht mehr wegzudenken. Inmitten der Erfolge und Niederlagen hat er seinen ganz eigenen Weg im Umgang mit dem Sport gefunden. Beruhigend, dass es unterm Strich eine Geschichte ist, die mit mehr Glück als mit Pech verbunden ist. Doch lesen Sie selbst.
Die erste Begegnung
Begegnet man Tim Böhme zum ersten Mal, blickt man in das Gesicht eines Menschen, der eine starke Ruhe ausstrahlt. Allein sein sportlicher Körper lässt dunkel vermuten, welch pure Energie auf einem Rad freigesetzt wird. Noch deutet nichts auf den unbändigen Willen hin, der Voraussetzung für ein erfolgreiches Sportlerleben ist. Aber das ändert sich schon bald. Für das Gespräch selbst telefonieren wir während er sich auf einer Fahrt von Frankfurt nach München befindet. Trotz Stau, Müdigkeit und einer großen Unlust, Auto zu fahren, ist er hellwach, aufgeschlossen und konzentriert.
Die Anfänge
Konzentration war sicherlich auch vonnöten, als alles im Alter von 13 Jahren mit dem Wunsch, Downhill zu fahren, begann. Dazu bot das Hegau für den gebürtigen Singener optimale Möglichkeiten; doch Tim Böhme merkte schnell, dass auch das Berge-Hoch-Fahren einen eigenen Reiz besitzt und so wurden die Touren länger, ausgeglichener und der Wettstreit mit den Kumpels intensiver. Mit 15 Jahren begann er sich mit anderen zu messen und wurde im ersten Bundesligarennen gleich mal neunter. Kurz daraufhin erfolgte die Einladung in den Nationalkader, die Teilnahme an der deutschen Meisterschaft, Nationalmannschaft und damit auch der Beginn der Sportförderung. Der Grundstein für eine lange Beziehung mit und auf dem Rad war gelegt.
Der Grundstein
Jede Beziehung, die lange anhählt, ist für Außenstehende eine Besonderheit. Deshalb fragen wir nicht selten, was eigentlich eine Beziehung über einen langen Zeitraum hinweg tragfähig macht. Für Tim Böhme ist diese Frage schnell beantwortet: der Spaß an der Sache. Wobei er nicht bei dieser Erkenntnis stehen bleibt, sondern analysiert, wie der Spaß überhaupt entsteht. Und da dazu gehört – hören Sie genau hin – hart gegenüber sich selbst zu sein, eine Leidensfähigkeit zu besitzen – und daran Freude zu finden. Daraus entsteht eine Motivation, die durch Erfolge gestärkt wird. Die Eigenschaft, sich gegenüber hart zu sein, zeigt sich bei Tim Böhme just zu dem Zeitpunkt als er als Vollprofi durchstarten könnte.
Der Einbruch und die Rettung
Rechtzeitig nach dem Abitur, als er als Sportsoldat in Todtnau-Fahl zum ersten Mal das Leben als Vollprofi hätte führen können, kam er – der Einbruch: Trotz intensiven Trainings im schwäbischen Alb-Gold-Team und der Fokussierung auf den Sport, ging es anstatt 20 Positionen nach vorne erst einmal 20 Positionen nach hinten. „Zuviel gewollt, viel zu viel trainiert, sehr verkopft“, so beschreibt das Tim Böhme diese Zeit. Für ihn wurde deutlich, dass die alleinige Fokussierung auf den Sport für ihn nicht der richtige Weg ist. Einen Ausgleich fand er ausgerechnet in einer beruflichen Tätigkeit, als ihn das Radlabor mit Sitz in Freiburg engagierte. Neben dem Einstieg in das Berufsleben gehörte eine weitere wichtige Erkenntnis dazu: sich neue Anreize zu setzen. Wohl etwas, das jeden guten Sportler auszeichnet. Tim Böhme formuliert es so: „Mit 28 Jahren mit nem 1.000er im Monat und einem kleinen Auto zu leben, ist halt auch nicht das Wahre, wenn um dich herum begonnen wird, einigermaßen gutes Geld zu verdienen.“ Also los damit.
Der Wechsel
Tim Böhme wechselt vom olympischen Cross-Country in den Marathonbereich der MTB-Szene und erhält 2009 einen Profivertrag bei BULLS. Im neuen Team und auf der Marathondistanz stellen sich schnell die Erfolge ein: deutscher Vizemeister, Podium bei der TransAlp. Dank eines 3-Jahre-Plans war für Tim Böhme klar, dass der Durchbruch in der internationalen Spitze erfolgen muss. Das Jahr 2011 sollte für Tim Böhme ein ganz besonderes Jahr werden. Dritter bei der EM. Vierter bei der WM. Der Durchbruch war erreicht. Anschließend ein weiteres Mal deutscher Vizemeister, dazu dritte Plätze bei der legendären Cape Epic in Südafrika. Häufig war Tim Böhme bester Deutscher bei vielen internationalen Rennen. Ein Ziel erreichte er also: Aus dem 1.000er im Monat wurde mehr. Ein weiteres Ziel fehlte noch…
Der Titel
Wer trägt nicht den Wunsch in sich, etwas Besonderes zu sein? Die Welt ist gepflastert mit Auszeichnungen und Titeln, die genau diesen Wunsch erfüllen sollen. Der Titel des Deutschen Meisters – gleichgültig in welcher Sportart – gehört sicherlich dazu. Bei Tim Böhme war es 2014 soweit. Endlich. Mit 32 Jahren. Nach zwei Vizemeistern war es mehr als verdient, den Titel zu einzufahren, so der einheitliche Tenor bei den Fahrern. Und auch hier wird der Wille von Tim Böhme sichtbar: Er wollte den Titel immer haben. Er glaubte, ihn zu brauchen in seiner langen Karriere – er konnte etwas mitnehmen, was bleibt. Spricht man mit ihm über die Folgen des Titels, bewertet er sie ganz nüchtern: „Und auf einmal hast du das und das, und dann merkst du, dass es gar nichts mit dem zu tun hat, was du dir immer gedacht hast. Es ist gar nicht so geil, wie du es dir denkst.“ Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als auch ihn der Fluch des Meistertrikots einholte. Das Jahr 2015 gehörte nicht zu den angenehmsten: Krankheit, technische Pannen – die Liste der Gründe für die ein oder andere Niederlage wurde länger und länger. Auch der Beruf konnte ihn dabei nicht trösten: „Sportlicher Misserfolg ist nie ein gutes Gefühl. Der Unterschied zwischen Sport und Beruf ist vielleicht, dass es im Sport extrem auf Sieg und Niederlage zugeschnitten ist, während es im Beruf gleichmäßiger aussieht“.
Über den Sport hinaus
Die Vielseitigkeit der Gedankenwelt des Tim Böhmes zeigt sich nicht nur im Sport – Tim Böhme steht auch mit beiden Beinen im Berufsleben. Schon früh studierte er „Sportmarketing“ und ließ sich zum „A-Trainer im Radsport“ ausbilden. Neben seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Radlabors in Frankfurt, wo er nicht nur eine neue Heimat, sondern mit John Degenkolb, einen Trainingspartner und Freund gefunden hat, schreibt er für das Mountainbik- und Roadbike-Magazin. Zugleich veröffentlicht er Bücher zum richtigen Training und konzentriert all seine Kenntnisse in seinem eigenen Blog Cycling for fit. Gemeinsam mit BULLS entwickelte er das Gravelbike „Grinder“, das dieses Jahr den Weg in die Öffentlichkeit findet. Ihm ist bewusst, dass sich ihm Türen öffnen, die anderen verschlossen bleiben. Und doch ist er sich dessen bewusst, dass man selbst durch die Tür gehen und dafür sorgen muss, dass man nicht wieder hinausgeschoben wird. „Sport ist eine gute Schule: immer weiter denken, nie zufrieden sein, nachhaltig aufbauen, Sachen umsetzen“.
Alles auf Start: das Ende
Wir könnten uns ewig unterhalten – da, wo Tim Böhme im Auto sitzt und gen München fährt, während im Hintergrund ab und zu die Sirene einer Polizei oder eines Krankenwagens zu hören ist. Irgendwann wird er in München angekommen sein, glücklich darüber, nicht mehr im Auto zu sitzen. Seine kurze Reise ist beendet, die lange Karriere als Sportler wird irgendwann folgen. Und wenn er sich ein Rennen aussuchen dürfe, das seinen Abschied aus der Szene beschreibt, dann wird Tim Böhme nachdenklich. Er blickt auf das Cape Epic, welches ein Mythos besitzt, das seinesgleichen sucht. Aber dieser Gedanke löst sich und bewegt sich hin zu einer weiteren Medaille – am liebsten bei einer Weltmeisterschaft. Und vielleicht wird genau an dieser Stelle das gesamte Geheimnis von Tim Böhme sichtbar: nicht locker zu lassen und sich immer wieder hohe Ziele zu setzen. Möge er nicht nur bei der WM im richtigen Moment auf der richtigen Position sein.
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