Unser Gastautor Ingemar Müller hat über das Pfingstwochenende beim 10. Keufelskopf Ultratrail besonders emotionale Erfahrungen gemacht.

    Foto: Ingemar Müller

    Ich sitze im Auto auf der Heimfahrt und es laufen die „Dropkick Murphys“ mit „Warriors Code“. Die ersten Zeilen klingen wie folgt: ‚You are the fighter, you’ve got the fire, the spirit of the warrior, the champions heart. You fight for your life, because the fighter never quits. You make the most of the hand, you are dealt, because the quitter never wins. No!‘ Da passiert etwas , das bei mir wahren Seltenheitswert hat. Mir laufen große Tränen die Wangen herunter. Dies sind keine Tränen der Trauer oder der Wut. Nein, das ist etwas ganz anderes. Ein unendliches Glücksgefühl, Stolz und Freude erfüllen mich.

    Doch von vorne. Auf beste Empfehlungen habe ich mich beim 10. Keufelskopf Ultra Trail in Reichweiler für die 85 km Strecke angemeldet. Worte wie verrückt, wild, hart und schwer haben mich eher motiviert als abgeschreckt. Ich reise einen Tag vor dem Event an. Am Sportplatz des Ortes, an dem das Campen für dieses Wochenende erlaubt ist, lerne ich die ersten Trailverrückten kennen, die nach und nach eintrudeln. Am Abend dann die übliche Pasta Party im kleinen Kreis mit meinen freundlichen Nachbarn aus dem Osten der Republik. Trail-Rucksack für den nächsten Tag vorbereitet und den erfahrenen Ultra Nachbarn beim Anrichten der Wettkampf Verpflegung beobachtet. Erste Zweifel kommen auf, ob ich genug Verpflegung dabei habe. Bei dem Lauf gilt Semi-Autonomie. Das bedeutet, es gibt lediglich Wasser an 4 Verpflegungsstellen und man kann auch eigene Trinkflaschen zu diesen bringen lassen, was ich zu spät registriere und später bitter bereuen werde. Anfängerfehler eben, passiert mir nicht noch mal. Feste Nahrung, Gels, Riegel etc. muss jeder Teilnehmer selbst mit sich führen.

    Foto: Ingemar Müller

    Nach viel zu wenig Schlaf ist die Nacht um vier Uhr zu Ende. Schnell ein paar Toasts und einen Kaffee rein schieben, präparieren und ab zum Start. Wir starten pünktlich um 6.00 Uhr zusammen mit den Marathon Teilnehmern und der aufgehenden Sonne. Es ist noch etwas frisch aber die Vorhersagen prophezeien bestes „Laufwetter“. Ich laufe ganz entspannt los, wir entschwinden schnell der Ortschaft und laufen über herrliche Single-Trails durch den Wald. Die ersten 40 Kilometer sind einfach nur ein Traum für jeden Trampelpfad Läufer. Über Stock und Stein durch Bachläufe, genau mein Ding. Bis hierhin ist auch alles in Ordnung, es läuft… Dann folgt der Teil der Strecke der nur den Ultra Läufern vorbehalten ist. Hier geht es auch schon mal über offene Wiesenflächen, immer leicht wellig. Dies zermürbt mich irgendwann so sehr das ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann. Irgendwo in diesem Teil taucht plötzlich einen gemeine Falle auf. Ein Klappstuhl mitten im Gebüsch mit vier vollen Kästen Bier daneben. Ein Mitstreiter sitzt im Stuhl und die Flasche ist bereits halb leer, er lächelt selig und versucht mich zum Trinken zu animieren. Auch wenn die Verlockung noch so gross ist, ich verneine und laufe schnell weiter. Er bereut es auch, denn aufgrund einer Unachtsamkeit, die natürlich nicht mit dem Alkoholkonsum in Zusammenhang steht, muss er drei Kilometer mehr zurücklegen.

    Ich bin fertig, die Beine schmerzen und mein Hirn hat Schaden genommen. Versuche meinen Schnitt hochzurechnen, scheitere am kleinen Einmaleins. Ich laufe an einem der vielen Schilder des Veranstalters vorbei auf dem steht:“Laktat macht blöd“. Ja genau… Ich bekomme die Füße kaum noch richtig hoch, stolpere über eine Wurzel und finde mich kurz darauf auf dem Waldboden wieder. Wie um alles in der Welt soll man sich jetzt motivieren weiter zu machen. „Es ist nicht mehr weit“? Pustekuchen, immer noch 30km. Der Magen grummelt nach der Gel-Kur, doch ich schleiche einfach immer weiter. Textzeilen kommen mir in den Sinn „Giving up was never an option“ Also weiter… Wenn man denkt es könnte nicht mehr schlimmer werden, wird die Strecke wieder anspruchsvoller. Wir gehen steile Rampen bergauf und es ist wieder richtig raues Gelände.

    Foto: Ingemar Müller

    Am letzten Verpflegungspunkt lege ich eine kleine Pause ein, zwänge mir einen Riegel rein und laufe dann weiter den Berg hinauf. Ein letztes Lieblings-Gel mit Cola-Geschmack und ordentlich Koffein in den Kopf geschüttet und dann geschieht Unglaubliches. Obwohl die Strecke laut Streckenposten jetzt richtig „Assi“ wird, habe ich plötzlich wieder Energie und fliege die letzten zehn Kilometer Richtung Ziel die sehr steilen Hänge hoch und runter. Im Ziel schmeisse ich dem verdutzten Veranstalter noch ein „Du hast doch einen Knall“, an den Kopf, um dann schnell zu ergänzen was für eine geile Strecke er da kreiert hat. Ich hoffe er nimmt es mir nicht mehr übel, zuviel Laktat!

    Prädikat der Veranstaltung aus meiner Sicht: besonders wertvoll! Dies bestätigen auch die Wiederholungstäter. Ultratrail laufen ist schon ein bißchen krank und extrem emotional – auch danach. Aber es ist auch einfach faszinierend zu sehen, zu was unser Körper im Stande ist. Ich freue mich schon, viele meiner Mitstreiter beim Zugspitz Ultratrail wieder treffen zu dürfen.

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