Wirbt eine Alpenregion mit Ursprünglichkeit und Einsamkeit, entsteht ein Bild, das beim Anblick von Liften und Gondeln schnell der nüchternen Realität weicht. Ganz anders ist das Valle Maira im Piemont.

    Ein italienisches Tal, das durch die Abwanderung im Zuge der Industrialisierung fast verwaiste – und sich nun zu einem stillen Outdoor-Paradies entwickelt hat. 

    Das Valle Maira ist ein rund 60 kilometerlanges Tal im äußersten Westen Italiens im Piemont. Dabei ist das Quertal nur wenige Minuten von der lieblichen, piemontesischen Stadt Cuneo entfernt, die mit seiner hübschen Altstadt und der einzigartigen Lage 2024 zur Alpenstadt des Jahres benannt wurde. 

    Mit seinen 13 Gemeinden war das Valle Maira hingegen einst das am dünnsten besiedelte Gebiet Europas. Noch heute ist das Tal in den Cottischen Alpen an der französischen Grenze eine fast vergessene Region der Westalpen – und hat sich genau deshalb zu einem Juwel für Outdoor-Enthusiasten entwickelt. Fernab vom Massentourismus, ohne Skilifte und Seilbahnen, hat sich eine ursprüngliche Kulturlandschaft mit lichten Lärchenwäldern, saftigen Almwiesen, türkisfarbenen Bergseen und Gipfeln weit über 3000 Metern erhalten. Kaum ein anderes Tal in den Alpen bietet eine solche Fülle an Wegen und Touren – von sanft bis hochalpin – wie das Valle Maira. 

    „Wir haben nicht viel, aber dafür alles“: Das Tal und die okzitanische Kultur 

    Das Grenzgebiet gehört zu Okzitanien, das sich ohne wirkliche Grenzen über weite Teile Südfrankreichs bis nach Spanien erstreckt. Sie alle verbindet eine gemeinsame Sprache, Kultur und sogar eine gemeinsame Flagge. Durch die natürliche Abgeschiedenheit des Tals konnte die Sprache als Dialekt überleben und gehört heute zum kulturellen Erbe der Region. Aber auch in der Musik und vor allem in der traditionellen Küche spiegelt sich die jahrhundertealte Geschichte der okzitanischen Bevölkerung wider. Die Küche ist bekannt für ihren Reichtum an Aromen und Zutaten, die nur das enthalten, was die Natur bietet: Das Olivenöl wird selbst gewonnen, der Käse traditionell hergestellt, gewürzt wird mit Kräutern wie Thymian, Rosmarin und Lavendel. Aromatisches Gemüse sowie Hülsenfrüchte oder die Verwertung von Kastanien in Brot, Kuchen und Eintöpfen bis hin zu Wildgerichten gehören zur okzitanischen Küche. 

    „Nichts“ außer Natur: Ein Outdoor-Paradies 

    Das Valle Maira steht für eine alpine Landschaft mit bis zu 3.389 Meter hohen Bergen, tiefen Tälern, Flüssen und un- zähligen Wanderwegen. Aber vor allem für eines: Slow Tourism. Ressourcenschonender und nachhaltiger Tourismus statt riesige Hotelanlagen und Touristenhorden. Während sich das Tal im Winter in ein einsames Skitourenparadies verwandelt, lädt das milde Klima vom Sommer bis in den Spätherbst Anfang November zu mehrtägigen Wanderun- gen, Klettertouren und Mountainbike-Touren ein – fernab vom Massentourismus. 

    Ein verborgener Schatz: Wandern im Valle Maira 

    Da unzählige uralte Transport- und Handelswege die Talschaft durchziehen, hat sich die Region zu einem Wander- paradies entwickelt. Ob für Tages- und Mehrtagestouren oder anspruchsvolle Routen auf Hochgebirgspfaden: Das dichte, gut ausgebaute und markierte Wegenetz erstreckt sich in die Seitentäler, führt durch alte Weiler und Wälder, vorbei an Ruinen und zu türkisfarbenen Bergseen am Fuße schroffer Felswände. Besonders eindrucksvoll ist der Herbst, wenn sich die Lärchen- und Kastanienwälder rot-golden färben. 

    Abenteuer in der Vertikalen: Klettern von leicht bis schwer 

    Obwohl die Region als Klettergebiet nicht sonderlich bekannt ist, bietet das Valle Maira eine Reihe von Sportkletter- gärten und alpinen Routen. Am Hausberg Rocca la Meja (2841 m) auf der Gardetta-Hochebene, der an die Dolomi- ten erinnert, führen modernere und anspruchsvollere Routen von 5c bis 7a in perfektem Kalk durch Platten, Risse und Verschneidungen. Klassisch alpin ist das Matterhorn des Piemonts: Die klassische alpine Normalroute führt im oberen dritten Schwierigkeitsgrad auf den freistehenden Gipfel der Rocca Provenzale (2402 m). Daneben gibt es Klettersteige wie die Ferrata di Camoglieres auf die Crocetta Soprana mit einer ausgesetzten tibetanischen Brücke oder den Alpini-Klettersteig am Monte Oronaye im oberen Maira-Tal. 

    Mountainbiken und Trailrunning auf Singletrails 

    Mehr als zwanzig verschiedene Strecken und über 700 Kilometer können Mountainbiker:innen in der Region rund um das Maira-Tal entdecken. Die Routen führen sowohl auf alten Militärstraßen als auch auf Singletrails durch die drei parallel zueinander verlaufenden Haupttäler in Richtung Frankreich: das Stura-Tal, das Maira-Tal und das Varaita-Tal. Da es im Maira-Tal jedoch keine Straßenverbindung nach Frankreich gibt, ist das Verkehrsaufkommen hier sehr ge- ring – und ideal zum Biken. 

    Auch für Trailrunner und Bergläufer hat sich das Valle Maira als wahres Juwel entpuppt. Ein besonderes Highlight ist der Maira Occitan Trail (MOT) vom 20. bis 22. September 2024. Fünf schöne Strecken führen auf schmalen Pfaden von acht bis anspruchsvollen bzw. 150 Kilometern: In drei Etappen zu je 50 km umrunden die Läufer:innen des MOT 3x50k das Tal und dürfen sich auf spektakuläre Ausblicke auf die Alpen freuen. Die Strecke führt durch verlassene Dörfer, über hohe Bergpässe bis hin zu wildromantischen Hochebenen. Mit einem Gesamtanstieg von 8110 Höhen- metern ist das Rennen eine echte Herausforderung für Ausdauerfans. 

    Übernachten mit Charme 

    Der in den letzten Jahren aufkommende Tourismus brachte der Region einen wirtschaftlichen Aufschwung. Doch statt auf Massentourismus zu setzen, sind die Menschen ihren Traditionen treu geblieben – und haben im Slow Tourism einen Weg gefunden, Naturliebende ihre Heimat näherzubringen. Kleine, familiengeführte Gasthäuser statt großer Profite, Ruhe und unberührte Natur statt Rummel und Liftanlagen. Mit überschaubaren 1300 Betten im ganzen Tal können die Gäste den ursprünglichen Charme genießen. So wurden einige der alten, schiefergedeckten Steinhäuser zu Ferienwohnungen umgebaut, die Moderne und Tradition vorbildlich verbinden. Ein weiterer Vorteil des dünn besiedelten Tals: Fernab der Lichtverschmutzung der Städte sind die sternenklaren Nächte ein echtes Highlight für Fotografinnen und Sterngucker. 

     

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