Fairy Tale
Grindelwald erscheint bei meiner Ankunft wie ein Bergdorf aus dem Märchen. Im Dorfzentrum tummeln sich die Touristen, aber schon ein paar Meter abseits des Zentrums ergreift die Natur den Besitz aller Sinne. Massiv wie kaum sonst irgendwo auf dieser Erde erheben sich die Gebirgszüge und über allem thront der Eiger. Zu seiner 11. Austragung zog der Eiger Ultra Trail erneut Läufer:innen aus aller Welt in den Bann.
Darunter in diesem Jahr auch Kilian Jornet, der ohne Star-Allüren an dem E16 teilgenommen hat und allem Trubel um seine Person weitestgehend versuchte, aus dem Weg zu gehen. Traumhaft auch der fast schon ungefährdete Start-Ziel Sieg von Hannes Namberger, der für die 101 Kilometer und 6.800 Höhenmeter 11 Stunden und 28 Minuten benötigte. Die Vorjahressiegerin Katharina Hartmuth wiederholte ihren Erfolg und erreichte das Ziel als erste Dame nach 13 Stunden und 17 Minuten. Doch vielmehr als die Leistungen der Spitzenathlet:innen zählt das, was alle Teilnehmer:innen mit nach Hause nehmen: Unvergessliche Impressionen einer unglaublichen Berglandschaft.
Gemütliches Miteinander
Vielleicht gehen die Uhren in der Schweiz tatsächlich etwas langsamer. Oder liegt es einfach an dem Bergdorf und der Natur drumherum, dass kaum die Hektik des Alltags Einzug halten kann. Es ist ein wenig so, als dass der komplette Alltagsstress keinen Zugang nach Grindelwald findet und spätestens mit dem Passieren des Ortsschilds auf der Straße bleibt. Die entspannte Atmosphäre bestimmt das Leben. Ob im Supermarkt oder bei der Startnummern-Ausgabe, wer hier hektisch ans Werk gehen möchte, hat die falsche Ausfahrt genommen. Es bleibt immer Zeit für ein paar freundliche Worte. Mag alles ein paar Minuten länger dauern, aber das (Läufer:innen)Leben ist ohnehin schon hektisch genug. Da lässt man sich, lasse ich mich gerne anstecken von der entspanntem Atmosphäre. Und es zeigt sich: Auch so kommt man ans Ziel.
Klein, fein, aber oho
Die Expo, leider abseits des Event-Geländes ist klein und fein. Doch selbst die kreativen Mitmachaktionen der Aussteller finden beim Läufer:innen Publikum kaum Anklang. Weitestgehend hält sich das Interesse an der kleinen Läufermesse in Grenzen. Bei den Teilnehmerzahlen von rund 4.000 Läufer:innen aus über 80 Nationen verwundert das sehr überschaubare Interesse an Testschuhen, temporären Tattoos und dem Angebot an nützlichen Utensilien.
Start zum E35
Als ich mich morgens noch etwas verschlafen aus der Hoteltür stehle und noch überlege, ob ich von meiner Unterkunft die 2,5 Kilometer Richtung Grindelwald Bahnhof laufe oder doch das Auto nehme, hält neben mir ein Mitläufer mit seinem Bus an und bietet mir an, mich mit zu nehmen. Sprit, Parkgebühren und Kräfte sparend nehme ich das Angebot gerne an. Ein kurzer, typischer Läufergeschichten-Austausch und schon trennen sich wieder die Wege von meiner Mitfahrgelegenheit. Während er sich auf den Start des E51 vorbereitet, schlendere ich die paar Meter zum Bahnhof und nehme den Zug nach Burglauenen zum Start des E35, der offiziell 37,5 Kilometer lang ist und 2.500 Höhenmeter zu bieten hat. Die schwüle morgendliche Luft Grindelwalds wird in Burglauenen gegen einen auffrischenden kühlen Wind getauscht. Ob das Wetter wohl halten wird? Im kleinen, provisorischen Zelt finde ich einen bescheiden Sitzplatz und warte hier bis die erste Startgruppe pünktlich um 7:35 Uhr auf den Weg geschickt wird. Der zweite Start erfolgt um 8:05 Uhr und mit diesem fast schon eine fantastische Reise.
E35 – der Nordwand-Trail
Burglauenen haben wir kaum ein paar Meter hinter uns gelassen und schon schlägt die Sommer-Hitze brutal zu. Die ersten Höhenmeter gestalten sich wenig spekatukär, dafür aber schon einmal deftig steil. Das wird sich nicht ändern, ganz im Gegenteil. Wir schlängeln uns einen Waldpfad hinauf zur ersten Anhöhe bevor es wieder hinunter nach Wengen zur ersten Verpflegungsstation geht. Komfortabel mein Puffer zum ersten Cut-Off, das bei 2:25 Stunden liegt. Es folgt auf den nächsten 4.9 Kilometern der Aufstieg zum Männlichen auf über 2.300 Metern. Schon jetzt zolle ich den 100Km-Teilnehmer:innen höchsten Respekt. Denn es ist so steil, dass ein Vorwärtskommen nur unter größter Kraftanstrengung gelingt. Oder um es mit den Worten von Hannes Namberger im Ziel-Interview zu sagen: „Das war ein sehr vertikales Rennen.“ Die Sonne brennt mittlerweile erbarmungslos vom Himmel. Ich passiere das erste Lawinengitter und muss inne halten und durchatmen bevor ich mich die Serpentinen weiter hinauf quäle. Endlich ist ein Ende in Sicht und auf dem Männlichen werden wir von Alphornbläsern empfangen. Die Kulisse ist hier oben einfach atemberaubend und in Bildern nicht fest zu halten. Störend nur die vielen Touristen, die mit der Gondel zum Berg gefahren sind und in leichter Sommerbekleidung und Turnschuhen den Wanderweg mit wenig Rücksicht auf uns Läufer:innen bevölkern.
Bis zur Kleinen Scheidegg windet sich der Trail bis zur nächsten Verpflegungsstation dahin. Umgeben von einem Panorama wie aus einem Bilderbuch. Dann folgt der Aufstieg Richtung der sagenumwobenen und spektakulären Nordwand. Empfand ich den Aufstieg zum Männlichen schon als steil, stellen die nächsten 3 Kilometer alles in den Schatten. Der Nordwand mühsam stapfend näher kommend, frischt der Wind auf und die ersten Wolken zeigen sich bedrohlich am Himmel. Es ist, als würde die Nordwand ihrem Ruf alle Ehre machen wollen und fast schon ein wenig erleichtert bin ich, als es schließlich und endlich wieder bergab geht. Trotzdem bleibt das Gefühl der Erhabenheit, der Nordwand und dem Eiger Gletscher so nahe gekommen sein zu dürfen.
Der Trail hinunter nach Alpiglen darf durchaus als alpin bezeichnet werden, was die Herzen von echten Bergläufer:innen natürlich sehr hoch schlagen lässt. Auf dem Papier geht es jetzt fast nur noch bergab. Streckenprofil und die Realität klaffen oftmals weit auseinander. Während ein Blick hinab nach Grindelwald das Ziel schon so nahe wähnt, folgen tatsächlich brutal steile Wege hinab, aber eben auch noch einmal hinauf. Die Schleife ums Dorf scheint kein Ende zu nehmen und ich frage mich, ob es eine Ehre oder eine Schmach ist, auf diesem Streckenabschnitt von Hannes Namberger flotten Schrittes überholt zu werden. Der hebt lässig seine Hand zum Gruße und bevor ich realisiere, wer mich da gerade passiert hat, ist er schon wieder entschwunden. Ich quäle mich hinauf, dann endlich final hinab. Die Einflugschneise Richtung Ziel entlang des Campingplatzes nehme ich im Laufschritt, zwar im Tempo einer Schnecke, aber immerhin. Jedenfalls so lange bis sich die letzte steile Wand hinauf ins Dorf auftut. Hier müssen die Stöcke noch einmal ran und die letzten Kräfte mobilisiert werden. Es fällt schwer die letzten Meter auf der Dorfstraße noch einmal in den Laufschritt zu verfallen, aber das Ziel hinter der Rampe winkt und der Applaus auf den letzten Metern beflügelt. Die Seele erfüllt von unglaublichen Impressionen, das Herz erfüllt von unfassbaren Emotionen bin ich überglücklich, diesen Lauf erlebt haben zu dürfen.
Schlichtweg ausgezeichnet
Ich gehe einmal davon aus, dass genau diese Emotionen und natürlich auch diese einmalige Kulisse den Eiger Ultra Trail auszeichnen. Hinzu kommen trotz der Aufnahme in die UTMB World Series eine gewisse Bescheidenheit der Veranstalter, die zum größten Teil als „normale“ Bergführer tätig sind. Erwähnenswert auch das großartige Sicherheitskonzept, das vorbildlich beim Eiger Ultra Trail umgesetzt wird und dafür verantwortlich ist, dass das Teilnehmerlimit mit akribischer Sorgfalt eingehalten wird, Das Gesamtkonzept des Eiger Ultra Trail ist so überzeugend und der Andrang so groß, dass der E35 und der E51 innerhalb von 5 Stunden komplett ausgebucht waren. Die Startplätze für den Eiger Ultra Trail sind heiß begehrt und das wird sich auch zur 12. Austragung nicht ändern. Ich jedenfalls komme ebenfalls gerne wieder. Grindelwald, hoffentlich bis zum nächsten Jahr.
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