Zermürbt sitzt Host Liebing nach den Deutschen Marathonmeisterschaften in Frankfurt in der Lobby seines Hotels. Mehr noch als die Erschöpfung ist dem 82-Jährigen die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben. Das Unfassbare ist nicht zu fassen. Sein Chip hat beim Zieleinlauf in der Frankfurter Festhalle die Zeit nicht ausgelöst. Mit mehr als 20 Minuten Vorsprung vor seinem schärftsten Konkurrenten erreichte er das Ziel. Seine Zeit müsste bei knapp unter 4:20 liegen.

    Umsonst gekämpft, Foto: Harald Bajohr

    Aufgrund des technischen Versagens ist die Meisterschaftsehrung in der Altersklasse M80 ausgefallen. Der direkte Protest bei Mika Timing aufgrund der fehlerhaften Ergebnisliste bringt bis auf weiteres keine Lösung. „Wir haben hier gerade ganz andere Probleme“ der lapidare Kommentar des Mitarbeiters gegenüber einem 82-Jährigen, der gerade um die Ehrung , vielleicht seines letzten Marathonrennens betrogen wurde. Von Wettkampfrichtern des Deutschen Leichtathletikverbandes keine Spur. Zerknirscht von der eigenen Machtlosigkeit steht Horst Liebing nicht nur ohne Urkunde und Meisterschaftsmedaille im Regen. Vielmehr begegnen dem Senior am Ende eines langen Marathontages Respektlosigkeit von allen Seiten.

    Anspannung kurz vor dem Start, Foto: Harald Bajohr

    Zum 35-jährigen Jubiläum präsentierte sich der Mainova Frankfurt Marathon von seiner besten Seite. Ein strahlend blauer Himmel empfing die fast 16.000 Läufer. Der morgendlichen Frische sollten im Laufe des Tages sonnige Abschnitte mit optimalen Temperaturen folgen. Früh reiht sich Horst Liebing in den Startblock der Festhalle Frankfurt ein. Für die Deutschen Meisterschaften wird nicht etwa die Nettozeit des Zeitmesssystems geltend gemacht, sondern die Reihenfolge des Zieleinlaufs entscheidet über die ersten drei Platzierungen. Das führte mir in einem Gespräch mit dem DLV die Projektabteilung akribisch aus. Für die Reihenfolge des Zieleinlaufs in den einzelnen Altersklassen seien erfahrene Wettkampfrichter eingesetzt. Dass keine Wertung in der Altersklasse M80 erfolgen sollte, sondern alle Senioren in der M70 zusammengefasst werden würden ließ mich aufhorchen. Der Seniorenausschuss im DLV hätte beschlossen, dass ein Teilnehmerfeld mit 4 oder 5 Startern in einer Altersklasse nicht meisterschaftswürdig sei. Erst ein massiver Protest beim Veranstalter und dem DLV seitens Horst Liebing und seines Vereins führte zu einem Einlenken. Wie war das mit der Respektlosigkeit?

    Doch 30 Minuten vor dem Start wird kein Gedanke mehr daran verschwendet. Die volle Konzentration gilt dem bevorstehenden Marathon. Ein Platz in der ersten Reihe im Block C ist gesichert. Jeder Meter ist kostbar und könnte am Ende über den Titel entscheiden. Nur nicht verrückt machen lassen, heißt die Devise, denn mitten unter den 3:30 h Läufern ist es wichtig, den eigenen Laufrhythmus zu finden und bloß nicht zu schnell anzulaufen. Endlich fällt der Startschuss und das Teilnehmerfeld setzt sich in Bewegung. Die ersten Kilometer sind mühsam, die Muskulatur ist noch kalt. Bei alten Haudegen dauert das Warmlaufen eben ein wenig länger. Immer wieder der Blick zur Uhr. Knapp über 6 Minuten, so der Kilometerschnitt.

    Noch läuft es sich locker auf dem Weg zu Kilometer 30, Foto: Harald Bajohr

    Alles läuft bestens nach Plan. Bei 10 Kilometer zeigt die offizielle Zeit genau 60 Minuten, bei 15 Kilometer eine Stunde und 33 Minuten, bei Halbmarathon 2:08 h. Horst Liebing hat bis hierher gut mit seinen Kräften gehaushaltet und forciert nun langsam das Tempo. Im Idealfall wäre er in der Lage, die zweite Hälfte schneller zu laufen. Er treibt die Zeit auf unter 6 Minuten, mal sind es 5:50, mal 5:45. Plötzlich taucht vor ihm bei Kilometer 24 oder 25 ein älterer Marathonläufer auf: „Ich laufe Deutsche Meisterschaften“ erzählt der Senior. „Ich auch“ erwidert Horst Liebing. „In der M80“ sagt der andere. „Ich auch“ sagt Horst Liebing und zieht motiviert den Schritt noch ein wenig an. Am Ende sollten die beiden über 20 Minuten voneinander trennen. Bei Kilometer 35 ist das Tempo nicht mehr zu halten, die Beine werden müde, die Strapazen sind dem 82-Jährigen jedoch nicht anzusehen. Nur keine Blöße zeigen und das Ding locker nach Hause laufen. Immerhin winkt der Meistertitel. Die letzten Meter wie gehabt. Zieleinlauf, Medaille abholen, schnell zur Kleiderbeutelausgabe, Umziehen, denn die Meisterschaftsehrung findet direkt im Anschluss des Zieleinlaufs in einer provisorischen Ecke der Marathonmesse statt. Dann die Enttäuschung. Keine Zielzeit, keine Ehrung, kein Ansprechpartner.

    Seit Mai 2016 hatte sich Horst Liebing akribisch mithilfe seines Trainers und Mentors Ralf Ebli auf den großen Tag in Frankfurt vorbereitet. Der Laktatstufentest und die Überprüfung der Leistungsdaten offenbarten zu Beginn der intensiven Vorbereitung ein gutes Leistungspotential. Strikt am Trainingsplan festhaltend, hatten Horst Liebing und seine Lebensgefährtin die Ernährung optimiert, auf Lieblingswettkämpfe in der näheren Umgebung und auf die Deutschen 10 Kilometer-Meisterschaften verzichtet.

    Improvisiert und wütend, wenigstens die Finishermedaille bleibt als Trost, Foto: Elke Jerger

    Kleinere Anpassungen in guten oder in weniger guten Tagen seitens seines Trainers sollten den 82-Jährigen auf eine ungefähre Zielzeit von 4:13 h vorbereiten. Von Erkältungen oder grippalen Infekten blieb Horst Liebing zum Glück verschont. Das tägliche Training wurde zur wichtigsten Größe im Tagesablauf, ein Teil des Lebensinhaltes. Testläufe über die Halbmarathondistanz nur Zwischenstationen zum Deutschen Marathon Meisterschaftstitel. Geopfert hat er viel und es hat ihm Spaß gemacht, doch das Ergebnis ist pure Niedergeschlagenheit. Am Ende steht nicht nur Horst Liebing mit leeren Händen da. Denn auch der Zweit- und Drittplatzierte gehen mit leeren Händen und ohne Meisterschaftsehrung nach Hause. Die Frage nach den vielen, erfahrenen DLV Wettkampfrichtern, die den Zieleinlauf der Deutschen Meisterschaftsteilnehmer akribisch beobachten und notieren sollten, bleibt bis auf weiteres unbeantwortet.

     

     

    Müde und enttäuscht in der Hotellobby, Foto: Harald Bajohr

    Denn zu diesem Zeitpunkt war nicht nur Mika Timing „mit anderen Problemen“ beschäftigt, Verantwortliche des DLV waren erst gar nicht anwesend.

     

     

     

     

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    Ein Kommentar
    • Antworten Bodo Heil

      1. November 2016, 11:27

      Am 23.4.2016 standen Horst Liebing und ich (Bodo Heil vom Lauftreff Butzbach) frierend auf dem Treppchen in Bad liebenzell. (=Deutsche Halbmarathonmeisterschften 2016 s. mein Profilbild). Wir verabredeten uns für die DM am Frankfurt-Marathon 2016 und wir hätten auch normalerweise wieder zusammen auf dem TREPPCHEN gestanden. Horst als Goldmedaillengewinner, ich als Broncemedaillengewinner. Die Damen von zwei Staffeln vom Lauftreff Butzbach standen schon bereit, mich auf das Treppchen hinauf- und wieder hinunterzuheben. Ich und der gesamte Lauftreff Butzbach waren schwer enttäuscht !. Auch wenn die Damen und Herren vom DLV ehrenamtlich tätig sind muss ich sagen, auch mich haben sie nur kurz abgekanzelt und auf einen technischen Fehler bei einem Teilnehmer verwiesen. Wie geht es Weiter ? Bodo Heil Startnummer 4061 (Arne Haase Startnummer 1917 hat die genau gleiche BRUTTOZEIT ! war aber nicht für die DM gemeldet. Siehe Zieleinlauf.

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