Rita Hagen von „Hagen Alpin Tours“ erläutert im Interview die aktuellen Entwicklungen im Tourismus mit dem Fokus auf den Bergsport bzw. Alpenüberquerungen.

    1.) Sie sind bereits seit über 20 Jahren als Spezialveranstalter für Wandertouren tätig aber solche Herausforderungen, wie sie 2020 mit sich brachte, gehören ja nicht unbedingt zu den alltäglichen Problemen als Reiseveranstalter. Wie war das für Sie als Tourenveranstalter? 

    Prinzipiell birgt für uns als Tourenanbieter jedes Jahr Überraschungen auf die man sich nicht wirklich einstellen kann. 2019 startete die Saison wegen des schneereichen Winters z.B. relativ spät, da viele Routen einfach noch nicht begehbar waren. Auch Muren- Abgänge, Starkregen oder Schnee im Sommer auf 2.500 m sind keine Seltenheiten, die unsere Angebote beeinträchtigen können. 2020 startete ja zunächst noch völlig normal bis schließlich der Lock-down mit all seinen Auswirkungen zuschlug. Das stellte uns als erfahrene Veranstalter auch vor nie dagewesene Herausforderungen. Ich glaube ein großer Vorteil in unsere Branche ist jedoch, dass wir, wie eben gesagt, jedes Jahr unerwartete Hindernisse zu bewältigen haben. Dadurch stellt man sich wahrscheinlich auch solchen Problemen mit einer anderen Einstellung. Obgleich wir natürlich von einer gewissen Unsicherheit begleitet wurden. 

     

     

    Bild: Hagen Alpin Tours

    2.) Sie sagten ja, dass die Saison normal startete. Wie und wann wendete sich hier das Blatt? 

    Bis Mitte März lief alles wie gewohnt. Die Leute planten ihre Reisen und buchten diese auch. Wir konnten mit der italienischen Marke Asolo sogar noch einen neuen Schuhpartner für die Saison gewinnen, der einen großen Teil unserer Guides ausstattete. Als plötzlich alle Länder dicht machten ging natürlich vorerst gar nichts mehr. Italien und Österreich stellen ja die wichtigsten Länder für unsere Touren dar, immerhin liegen hier fast 50% der Alpen. Im Juni wurden dann die Reisebeschränkungen für den Schengen Raum freigegeben und wir konnten grünes Licht für unsere Alpenüberquerungen geben. Rückblickend können wir sagen, dass gute 15% unserer Kunden abgesprungen sind. 

     

     

    Bild: Hagen Alpin Tours

    3.) Als bergliebender Mensch waren Sie sicherlich auch während des Lock-down in den Bergen unterwegs. Bei uns wurden die Voralpen in dieser Zeit regelrecht überrannt. Glauben Sie, dass dadurch der Bergsport- und Wanderbereich langfristig verändert hat? Oder war das nur ein kurzzeitiger Boom, der sich mittlerweile wieder gelegt hat? 

    Als man nirgendwo hin durfte und die Straßen leergefegt waren hatten die Menschen mal Zeit die Welt wahrzunehmen. Nichts tun zu können oder gar zu dürfen öffnete dem einen oder anderen sicherlich den Blick dafür, in welchem Luxus wir Leben. Sobald die ersten Lockerungen kamen, haben die Leute das dann auch gelebt und sich die Schönheit von dem bewusst gemacht, was unmittelbar vor der Haustüre liegt. Deshalb haben sich
    wahrscheinlich auch diese Massen an den Bergen erfreut. Dieses Ausmaß ist nicht mehr zu beobachten aber ich denke, dass der Bergsport sich an einer nicht geringen Anzahl neuer Fans erfreuen kann. Mehr Wanderer, Kletterer, Trailrunner, Mountainbiker usw. heißt aber auch, dass es wahrscheinlich zu mehr Konflikten kommen wird, weil grundlegende Regeln nicht beachtet werden bzw. sich viele ihnen gar nicht bewusst sind. Typische Probleme wie Gefahrensituationen durch falsches Verhalten mit dem Hund auf einer Bergweide oder Streit zwischen Wanderern und Mountainbikern gehören ja zum alljährlichen Standard in der Zeitung. Hier sollte die Politik Alpenvereine, Regionen etc. unterstützen, dass ein gewisses Bewusstsein und Sensibilität geschaffen wird. Achtsamkeit und Respekt gegenüber sich selbst, seinen Mitmenschen und der Natur sind bei jedem Bergsport fundamental und wenn jetzt mehr Menschen in den Bergen unterwegs sind, ist es für ein Miteinander ein Muss, den Leuten das auch bewusst zu machen. 

     

     

    Rita und Winfried Hagen / Bild: Hagen Alpin Tours

    4.) Heißt das, dass mittlerweile in den Bergen weitestgehend wieder Normalität eingetreten ist? 

    Regionen in der Nähe von Ballungsräumen werden an Wochenenden noch immer sehr stark besucht. Was Alpenüberquerungen betrifft, hier war der Saisonstart anfangs sehr verhalten. Für unsere ersten Gruppen war das aber ein fantastisches Erlebnis, denn dadurch erlebte man quasi eine kleine Zeitreise und konnte die Einsamkeit in den Bergen genießen wie sie seit Jahrzehnten schon nicht mehr existiert. Nachdem klar war, dass in den Bergen alles reibungslos läuft, nahmen auch die geführten Wandergruppen wieder zu. Bis auf die länderspezifischen Hygienevorschriften geht in den Bergen eigentlich alles wieder seinen gewohnten Weg. 

    5.) Vorhin erwähnten Sie, dass Ihnen 15% der Kunden abgesprungen sind. Haben die Hygienevorschriften einen Einfluss auf die Gruppengrößen? Also dürfen Sie die übliche Menge an Gästen führen oder sind hierdurch auch Einbußen zu befürchten? 

    Nein, es gibt keine Änderungen bei den möglichen Gruppengrößen, wobei sicher in diesem Sommer viele Gruppen mit weniger Teilnehmern als üblich unterwegs waren. Viele bereits gebuchte Reisen wurden bereits von 2020 auf 2021 verlegt, sodass wir für kommendes Jahr schon gute Aussichten haben. Das Vertrauen in Flugreisen hat unter Corona viel stärker gelitten und ich glaube, dass sich das 2021 nochmal deutlich zeigen wird. Wir rechnen jedenfalls damit, dass im Sommer 2021 in den Bergen einiges los sein wird. Auch wenn 2020 weniger Wanderer als in der Vergangenheit buchen werden, die Prognosen für das nächste Jahr sehen dafür schon jetzt sehr gut aus. 

    6.) So gesehen waren die Ereignisse also positiv für den Bergsporttourismus? 

    Ja und Nein. Natürlich freut es uns, dass mehr Menschen die Schönheit und die Ruhe der Berge für sich entdeckten und sich das in Zukunft vermutlich auch positiv auf unsere Buchungszahlen auswirken wird. Aber wie so oft liegen Fluch und Segen nah beieinander und wie schon erwähnt, müssen die unerfahrenen und die neuen Anhänger von Bergsportarten hinsichtlich des Verhaltens in den Bergen sensibilisiert werden. Große Probleme stellten ja kurz nach Beginn des Booms nach dem Lock-down Dinge wie Müll, das viele Wildcampen, Lagerfeuer usw. dar. Den meisten ist ihr Fehlverhalten aber gar nicht bewusst, weil sie es einfach nicht besser wissen. Und hier muss eben etwas unternommen werden, damit der Segen nicht zum Fluch wird. 

    7.) Halten Sie Wander- und Aktivreisen für die Zukunft der Reisebranche? 

    Auch wenn die Flug- und Fernreisebranche stark gelitten hat, das Gros der Deutschen wird sicherlich auch in Zukunft fliegen, denn uns Menschen zieht es fast immer in die Ferne. Alpenüberquerungen oder Wandern im Allgemeinen birgt aber viele Vorteile, die besonders zu Corona-Zeiten wichtig sind. Statt in einem Flugzeug ist man an der frischen Luft, in Gruppen sind die Einhaltung von Mindestabständen kein Problem. Alles Dinge, die aktuelle Hygienestandards quasi übertreffen, denn wenn man sich so manches Bild von Urlaubsstränden angesehen hat, viel Unterschied zu normalen Zeiten war nicht zu erkennen. Und wer einmal einen überfüllten Adriastrand besucht hat, wird die Abgeschiedenheit in den Bergen lieben. In Hütten trifft man zwar auch auf andere Wanderer aber genau wie im Tal gibt es auch auf dem Berg die Maskenpflicht. 

    8.) Abschließend würden wir noch gerne wissen, wie Sie sich den zukünftigen Bergtourismus vorstellen. 

    Wir bieten ja auch Reisen in ferne Destinationen an aber prinzipiell fände ich es schön, wenn der Fokus mehr auf lokale oder schnell erreichbare Ziele gelegt werden würde. Die Natur zählt zu unserem höchsten Gut und je weniger Emissionen für das Urlaubserlebnis verursacht werden, umso besser. Wir haben so viel Schönes in unmittelbarer Nähe und wenn man sich mal darüber Gedanken macht, kennt man oftmals die eigene Heimat weniger als einem lieb ist. Daher wäre es toll, wenn die Menschen rausgehen, die Natur genießen und entdecken. Ein großer Wunsch ist jedoch, dass es in einem reibungslosen Miteinander abläuft und sich jeder davor die Zeit nimmt, sich ein wenig mit den einfachen Dingen zu befassen, die dazugehören. Was man mit nach oben nimmt, nimmt man wieder mit runter, jeder darf in den Bergen seinen Sport ausüben und jeder sollte einander respektieren und achten. Aber auch hinsichtlich Materials, Wetter, Natur gehört ein bestimmtes Maß an Respekt und Verantwortung dazu. Die Dame, die neulich in der Schweiz in sommerlicher Kleidung zwei Nächte in einer Gletscherspalte verbracht hat ist ein Beispiel, was mit einem gewissen Maß an Wissen nicht passieren würde. Die Berge sind besonders im alpinen Bereich genauso rau wie sie aussehen und niedrigere Berge sind nicht mit dem Spaziergang im Tal-Wald vergleichbar. Allen die Lust daran haben diesen Sport für sich zu entdecken empfehle ich an einer geführten Tour teilzunehmen, denn Führer wie wir sie z.B. haben vermitteln solches Wissen gerne auch in der Praxis. 

    Das Interview wurde zur Verfügung gestellt von FlachCommunication

     

     

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