„Wir wollen einen Perspektivenwechsel!“ lautet der Tenor bei ORTOVOX. Warum die Marke ihre Merinowolle aus Tasmanien bezieht, sich das Unternehmen für den Tarkine einsetzt und wie dieses Engagement in die Nachhaltigkeits-Philosophie und zum geforderten Perspektivwechsel passt, darüber äußert sich CSR Managerin Stefanie Rieder-Haas.
    Stefanie Rieder-Haas, Bild: ORTOVOX

    1.) Eure Merino-Wolle stammt von Schaffarmen aus Tasmanien (Australien). Warum gerade Tasmanien? Wie kam der Kontakt zustande und wie sieht eine „enge“ Zusammenarbeit über diese große Entfernung in der Praxis aus?

    Digital ist alles möglich (lacht). Ich muss da ein bisschen ausholen. Ortovox hat den Anspruch Wollexperte zu sein. Aus diesem Grund war für uns schon immer wichtig, dass wir bei der Wolle eine Vorreiterposition in Sachen Qualität und Nachhaltigkeit einnehmen. Australien bietet neben Neuseeland schon seit vielen Jahrzehnten sehr hohe Wollqualität. Der Großteil der Merinowolle auf dem Weltmarkt stammt aus Australien (ca. 90%). Aufgrund der Verfügbarkeit und Qualität haben wir uns Mitte der 90er Jahre für Australien entschieden und auch bald auf nicht gemuleste Wolle geachtet. Als das Bekleidungsprogramm von ORTOVOX vor gut 10 Jahren ausgebaut wurde, entstand die Idee mit Tasmanien, das auch als „Switzerland of the South“ bekannt ist. Eine Partnerschaft mit einer Region einzugehen, die unsere alpinen Wurzeln am anderen Ende der Welt widerspiegelt – das hat sich einfach richtig angefühlt.

    Tasmanien als Inselstaat bietet höchste Wollqualität, vereint auch mit gesetzlicher Sicherheit in Bezug auf Arbeitsbedingungen. Besonders im Tierschutz können wir hier Pionierarbeit leisten. Gemeinsam mit unseren Farmern, die allesamt die verbreitete Praxis des Mulesing aufgegeben haben, glauben wir dass es möglich ist, auch weitere Teile der Wollindustrie von den Vorteilen zu überzeugen, die non-mulesed Wolle bringt. Wir haben uns also gemeinsam mit unseren bestehenden Geschäftspartnern auf die Suche nach Farmern gemacht, deren ethische und moralische Vorstellungen den unseren entsprachen und haben angefangen, die Beziehungen und auch die Lieferkette aufzubauen. Dazu benötigte es persönlichen Kontakt vor Ort sowohl durch unsere Produkt- und Materialverantwortlichen, aber auch aus der Kommunikationsabteilung, durch die Geschäftsführung und durch unsere Nachhaltigkeitsverantwortlichen. Bei diesen Besuchen haben wir eine jährliche „Round Table“ ins Leben gerufen, bei dem auch andere Interessensgruppen vor Ort sind. Das mag jetzt nicht so aufregend klingen. Aber, dass wir vor 2 Jahren die Tierschutzorganisation 4 Pfoten persönlich vor Ort mit den Farmern hatten, hat in Tasmanien ganz schön für Aufregung gesorgt. Uns ist ein Perspektivenwechsel wichtig – für alle – auch für uns. Was sind die Interessen der einzelnen Gruppen, was sind die Bedenken, wo hat man Schnittmengen. Für die Farmer ist es sehr wertvoll durch uns so nah am Endverbraucher dran zu sein. Diese Art der Geschäftsbeziehung, die wir auch in allen anderen Bereichen pflegen, ist sehr zeit- und kostenintensiv am Anfang. Am Ergebnis unseres Wollstandards ORTOVOX WOOL PROMISE sehen wir jedoch, dass sich das auszahlt. Und ich für mich persönlich kann sagen, dass es mit unseren OWP Farmern inzwischen mehr als nur eine Geschäftsbeziehung ist.

    2.) ORTOVOX unterstützt ein Projekt zum Erhalt des Tarkine, einem großen tasmanischen Urwald, der – wie alle Urwälder als Klimaspeicher gerade in der jetzigen Zeit äußerst wichtig ist. Wie bringt man ein solches Projekt dem Handel und den Konsumenten nahe und welche Rolle spielt die Unterstützung der Bob Brown Stiftung, die sich für den Erhalt des Tarkine vor Ort einsetzt?

    Unsere Welt befindet sich im Klimanotstand – eine Krise, unter der die ganze Menschheit leiden wird. Auch wenn uns das in unserem Mikrokosmos im Alltag vielleicht nicht so stark bewusst wird wie z.B. aktuell durch die Krise der Pandemie. 10% des weltweiten Fußabdrucks stammt aus der Textilbranche. Ca. 95% unseres Fußabdruckes stammen von unseren Produkten. So ungefähr sieht das bei jedem Bekleidungshersteller aus. In unserer Nachhaltigkeitsstrategie ProtACT 2024 haben wir uns als Ziel gesetzt als Unternehmen bis zum Jahr 2024 klimaneutral zu sein.

    Julian und Annabel von Bibra, ORTOVOX Merinofarmer/ Bild: ORTOVOX

    Wir setzen uns also schon einige Jahre mit dem Thema auseinander und haben erkannt, dass es nicht DIE Lösung gibt. Es gibt viele Lösungsansätze, die allesamt verfolgt werden müssen, um in eine Verbesserung der aktuellen Situation zu kommen. Das Tasmanienprojekt ist nur ein Puzzlestück unter vielen. Letztlich geht es uns darum ein Bewusstsein zu schaffen, dass der Erhalt der Biodiversität, egal wo das sein mag, eine entscheidende Rolle im Klimawandel spielt. Wir als Unternehmen sind aber nicht direkt vor Ort, sondern unterstützen Organisationen, die da viel mehr Expertenwissen mitbringen – so wie die Bob Brown Foundation. Die Kommunikationskampagne dazu ist dann eher aus dem Gedanken der Globalisation entstanden. Absurderweise ist es ja so, dass wir als Abnehmer der tasmanischen Wolle vielleicht sogar mehr politischen Einfluss mit unserer Wirtschaftskraft haben als die Interessensgruppen vor Ort. Auf diesen Einfluss und die damit einhergehende Verantwortung, die jeder Konsument durch sein Verhalten hat, wollen wir mit so einer Kampagen hinweisen. Mein Konsumverhalten beeinflusst extrem komplexe Netzwerke. Zugegebenermaßen ist es ein wenig schwierig, diese Botschaft in einer zugespitzten Kommunikationskampagne zu verpacken. Interviews wie dieses hier helfen uns dann, solche Aktionen zu erklären. Hinter „Save the Tarkine“ steckt also viel mehr. 

    3.) Wie seid ihr auf das Projekt aufmerksam geworden? Warum Tarkine und kein Projekt „vor der Haustüre“?

    Um ehrlich zu sein: Es war eine Verkettung von Zufällen, Bauchgefühl und unternehmerischer Entscheidung. Bei meiner letzten Reise nach Tasmanien zum „OWP Round Table“ mit Farmern, 4 Pfoten und anderen Interessensgruppen bin ich über eine tasmanische Fotografin, die uns begleitet hat, auf den Tarkine aufmerksam gemacht worden. Aus Neugier an der Sache und weil mir in meiner Funktion Umweltthemen einfach sehr wichtig sind, habe ich dann aktiv Gespräche gesucht, den Tarkine besucht und unter anderem auch die US-Kletterlegende John Middendorf kennen gelernt, der das Projekt vor Ort unterstützt. Dass er seine Kletterexpertise für die gute Sache einsetzt und auch einige unserer Farmer für die Sache waren, haben dazu beigetragen, dass ich die Idee mit zurück nach Deutschland gebracht habe. Wir sind dann intensiv in die Recherche gegangen und haben die Idee vorgestellt. Und klar gab es auch da kritische Stimmen, dass das Projekt so weit weg sei. Aber mal ehrlich: Das ist es doch, was unsere Welt heutzutage auszeichnet, dass wir eben so verbunden sind. Wir beziehen unsere Merinowolle aus Tasmanien und es gibt diese besondere Verbindung. Wir werden immer internationaler und da ist es umso wichtiger den Blick zu öffnen – also war dann schnell klar, dass das Projekt in keinem Widerspruch steht. Also: Das hätte theoretisch auch vor der Haustüre passieren können. Aber, Nachhaltigkeit muss global gedacht werden. Umso besser, wenn es dann noch zur eigenen Geschichte passt. Und schon mal als Ausblick zum Thema Regionalität: Im Zusammenhang mit der Schweizer Wolle in der Swisswool-Kollektion im kommenden Winter unterstützen wir im Rahmen unseres Ziels der Klimaneutralität das Schweizer Bergwaldprojekt.

    Bild: ORTOVOX

    4.) Wie passt der Schutz eines Urwaldes mit den kommerziellen Merino-Farmen zusammen? Gibt es da keine Differenzen?

    Doch. Die gibt es. Und das ist ja genau das Spannende an diesem Projekt. Uns war von Anfang an bewusst, dass wir hier ein gewisses unternehmerisches Risiko eingehen, indem wir uns für eine Organisation engagieren, die nicht alle unserer Farmer gut finden. Hier geht es viel um politische Einstellungen. Grüne Umweltaktivisten auf der einen Seite, konservative Traditionalisten auf der anderen. Aber wir haben auch die Chance gesehen, die uns unsere einzigartige Position bietet: Wir sind ein Verbindungspunkt zwischen zwei unterschiedlichen Interessensgruppen. Wir können durch unsere Rolle zu einem Perspektivenwechsel einladen. Zwischen konträren Standpunkten gibt es ja immer viel Raum für Dialog und vielleicht sogar Verständnis. Das Vertrauen, das wir über die letzten Jahre mit unseren Farmern aufbauen konnten, hat uns hier sehr geholfen. Die Bob Brown Foundation ist auch bei einigen unserer Farmer nicht unumstritten. Hier können wir vermitteln. Durch uns haben einige unserer Farmer erst vom Ziel der BBF erfahren, sanften Tourismus in der Tarkine Region fördern zu wollen – durch einen zukünftigen Trans-Tarkine Track, für den aktuell noch die Mittel fehlen, aber dessen Wirtschaftlichkeit schon mit Studien belegt werden konnte. Und das wurde wiederum positiv gesehen. Eine unserer Farmen, geführt von Annabel und Julian von Bibra, hat sich sogar als Aushängeschild für unsere Aktion bereit erklärt – um die Sache zu unterstützen. Von Lobbyisten der Holzfällindustrie wurden wir stark kritisiert – aber das gehört auch dazu. Von anderer Seite gab es dafür große Unterstützung.

    Bild: ORTOVOX

    5.) Unternehmerisches nachhaltiges Engagement mit Zertifizierungen und ökologischen sowie sozialen Projekten, das hört sich aus Konsumenten-Sicht recht überschaubar an. Kannst Du uns kurz erläutern, wie aufwendig beispielsweise das ökologische Engagement eines Unternehmens ist – personell, wirtschaftlich und zeitmäßig – und bleibt bei der Arbeit für den Erhalt des Status Quo überhaupt noch Zeit für neue Projekte und Initiativen?

    Das ist eine sehr interessante Frage. Nachhaltigkeit ist ein komplexes Themenfeld. Um den Umfang ökologischen Engagements eines Unternehmens zu beschreiben, hilft es erstmal sich die Basisdefinition anzuschauen, welche Themengebiete vom Unternehmen überhaupt als relevant erachtet werden beziehungsweise für welche sich das Unternehmen verantwortlich fühlt und wo es aktiv werden kann und will. Auch wenn das vielleicht vielen NutzerInnen nicht so bewusst ist, haben die meisten Player in der Outdoorbranche hier wirklich ein sehr ganzheitliches Verständnis von Nachhaltigkeit und sind in vielen Dingen Vorreiter. So zum Beispiel im Bereich CO2-Reduktion in der Lieferkette. Es wird auch hier im Hintergrund viel Pionierarbeit geleistet, die man nach außen noch gar nicht sieht. Man ist bereit, sich gemeinsam als Industrie Probleme anzuschauen. Die Betrachtungsweise hört da beispielsweise nicht beim Standort auf, sondern insbesondere der Blick auf die Lieferkette ist geschärft. Da ist es ja, wo der größte Einfluss liegt – ökologisch und sozial. 

    Kurz gesagt also: Personell, wirtschaftlich und zeitmäßig ist der Aufwand groß – aber kaum in Zahlen darstellbar. Wir und auch andere Unternehmen befinden uns im Prozess, das alles besser messbar zu machen. Es ist ein langer Weg auf dem uns unsere Überzeugungen derweilen gute Berater sind. 

    Dabei ist aber auch wichtig, dass die Kooperation nicht nur zwischen den Unternehmen stattfindet. Auch unsere Händler und Kunden gehören zu unserer Lieferkette. Die Fragen, die wir für uns als Unternehmen beantworten, sollten sich also auch jeder in seinem Bereich in abgewandelter Form stellen. Wo fängt für Dich Deine ökologische oder auch soziale Verantwortung bei einem Produkt an? 

    Liebe Stefanie, wir bedanken uns recht herzlich für das interessante, ehrliche und ausführliche Interview.

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