Von Mensch zu Mensch, das gibt für Jürgen Henß von Fahrrad Böttgen in der Mainmetropole Frankfurt dem stationären Fahrradhandel auch weiterhin eine große Chance.
    Jürgen Henß / Bild: Fahrrad Böttgen

    1.) Kannst Du uns kurz schildern, wie Du die letzten Wochen kurz  vor und seit dem Shutdown erlebt hast – wie stark wurden eurer Serviceangebot und eure Werkstatt frequentiert und wie wurde euer Verkaufsberatungsangebot bzw. der Online-Verkauf nachgefragt?

    Wir hatten kurz vor dem Shutdown eine monatelange Ladenneugestaltung inkl. Flächenerweiterung (jetzt 650qm reine Verkaufsfläche), Bodenbelag, Ladenausstattung und Lichtanlage fertiggestellt und mussten dann schließen. Das heißt, wir haben eine entsprechende Investition getätigt und die umsatzstärksten Monate des Jahres standen uns bevor und dann das. 

     

    Zum Glück durfte der Werkstattbetrieb weiterlaufen, so konnten wir hier noch Umsätze generieren. Der Bedarf an Reparaturen ist ungebrochen hoch, sodass wir zeitweise den ganzen Tag zwei Annahmeplätze besetzt hatten und zwischen 35 und 45 Aufträge angenommen haben. Die Frankfurter haben das Fahrrad neu entdeckt und anscheinend wurde alles mobilisiert was 2 Räder hat und wie ein Fahrrad aussah. Einige wenige Fälle machten wirtschaftlich keinen Sinn, aber den meisten Kunden konnten wir helfen. Die Disziplin in der Warteschlange war schon beeindruckend…..bis auf wenige Ausnahmen. Die Wartezeit belief sich mitunter auf 1,5 Stunden.! 

    Da wir uns als klassischen stationären Handel sehen, war bis dato das Online-Geschäft eher dürftig, aber durch die Tatsache der vielen Daheimgebliebenen, kam hier ordentlich Zug rein. Wir hatten viele Telefonberatungen bei denen auch zu merken war, dass die Kunden gut informiert waren und ziemlich schnell zum Punkt, sprich zur Kaufentscheidung kamen. Hier war es u.a. hilfreich, dass die Echtzeitbestände der Fahrräder auf unserer HP zu sehen sind.

    2.) Und seit der Wiedereröffnung stehen Fahrradbegeisterte vor eurem Geschäft Schlange? Welche Segmente sind bei euch momentan am stärksten gefragt?

    Das in unserer Branche am stärksten wachsende Segment ist das E-MTB. In diesem Zuge ist die Nachfrage nach ausschließlich mit Muskelkraft betriebenen MTB’s stark zurückgegangen. Ein Prozeß, den wir schon lange beobachten. Jetzt kam es aber anders. Die MTB-affinen Väter hatten die Kinder zu Hause und so langsam gingen wohl die Ideen für sinnvolle Beschäftigungen aus. So kam es zur „Wiedergeburt“ des klassischen Hardtails. Jetzt macht uns die Nachversorgung etwas Probleme, aber es gibt Schlimmeres.

    Ungebrochen ist natürlich die Nachfrage nach E-Bikes, wobei die Verkaufszahlen in der Großstadt, nicht an die aus dem ländlichen Bereich heranreichen. Die Gründe hierfür sehen wir in der Diebstahlgefahr und der mangelnden Unterbringungsmöglichkeit (Wohnung im 3.Stock oder steile Kellerab/-aufgänge).

    Und dann ist da noch das Thema Cyclocrossrad oder Gravelbike, was bei uns seit vielen Jahren einen festen Platz im Sortiment mit den Marken Stevens und Ridley einnimmt und ungebrochen sehr gut läuft. Fast alle unserer Angestellten fahren ein Rad aus diesem Segment.

     

     

    Jürgen Henß / Bild: Fahrrad Böttgen

    3.) Persönliche Beratung versus Online-Geschäft, wie wichtig ist Deiner Einschätzung nach der direkte Draht zum Kunden und wie wird sich der Online-Handel in der Bike-Branche entwickeln? Werden Online-Beratungstools das persönliche Verkaufsgespräch zukünftig überflüssig machen?

    Ich bin der Meinung, dass beim Thema Fahrrad der stationäre Fachhandel nach wie vor eine große Chance hat, da wir wesentlich individueller und auch zeitnaher auf Kundenwünsche eingehen können und irgendwann sollte/muss jedes Fahrrad mal den Doktor aufsuchen. Trotzdem realisiere ich den Geschäftserfolg von Online-Anbietern wie Canyon und Rose, die sich ein kräftiges Stück vom Kuchen abschneiden. Die Tatsache, dass diese Firmen händeringend nach Servicepartnern suchen, bekräftigt allerdings die Daseinsberechtigung des stationären Handels.

    Um den Kunden letztendlich in den Laden zu bekommen, ist eine ordentliche HP mit Echtzeitbestandsführung der Räder wichtig. Auch eine Einbindung des Handels auf den Herstellerseiten (Giant macht das gut), wo der Kunde direkt bestellt und das Rad zum Laden seiner Wahl schicken lässt, finde ich wichtig.

    Im Laden reden wir ja noch von Mensch zu Mensch. Hier finde ich, darf ein Verkäufer auch über eine gewisse charismatische Ausstrahlung verfügen und ohne von eigenen gefahrenen Bestzeiten zu prahlen, ist da eine gewisse Wertschätzung bei den Kunden festzustellen, insbesondere wenn es natürlich und verbindlich rüber kommt.

     

     

    Bild: Fahrrad Böttgen

    4.) Mit dem 1. Maiklassiker „Rund um den Finanzplatz Frankfurt-Eschborn“ ist DAS Radsportevent in der Mainmetropole ausgefallen, auch alle weiteren Radsport- und Triathlonveranstaltungen sind bis auf weiteres auf Eis gelegt. Wie stark treffen euch die Absagen dieser Radsportveranstaltungen?

    Da wir ein Vollsortimentler sind und nicht ausschließlich den Sportbereich bedienen, hält sich der verpasste Umsatz in Grenzen. Natürlich motiviert ein Jedermann-Rennen am 1.Mai oder der Ironman Frankfurt. den einen oder anderen es auch mal zu probieren. Das fehlt dann schon in diesem Jahr. Wir führen ja die Radmarke Ridley auf der John Degenkolb unterwegs ist, da hätte uns die Medienpräsenz beim Maiklassiker schon in die Karten gespielt.

     

     

    Bild: Fahrrad Böttgen

    5.) Online-Beratung, telefonische Terminabsprache und vom Kinderrad bis zum hochpreisigen E-MTB, ihr seid sehr breit aufgestellt. Welche Perspektive siehst Du für dieses Jahr für den Radsport bzw. das Fahrrad und wird der Fahrradhandel von der Krise am Ende des Jahres profitieren?

    Im Moment kann ich mir nicht vorstellen, dass wir die Umsatzeinbrüche aufholen, bin aber sicher, dass wir es leichter haben werden wie viele andere Branchen. Viele haben das Fahrrad neu für sich entdeckt, auch dass ein erweiterter Erlebnisradius erreicht wird und die Geschwindigkeit beim Radeln uns viele bis dato unbemerkte Sachen entdecken lassen. Nicht zuletzt ist es das wohl sinnvollste Fortbewegungs-

    mittel für uns Menschen wie auch für unsere Umwelt….E-Bikes mit Einschränkungen.

    Über Fahrrad Böttgen

    Fahrrad Böttgen gibt es seit 1924, ursprünglich auf der Berger Straße in Bornheim, jetzt mit großer Meisterwerkstatt und Verkauf in der Großen Spillingsgasse 8-14. Mit dem Mainrad, welches seit 8 Jahren von der Firma Gudereit in Bielefeld gefertigt wird, bietet Fahrrad Böttgen mit dem Mainrad in der Mainmetropole ein ganz eigenes Projekt an. Das Motto von Fahrrad Böttgen: Wir lieben RadFahren!

     

     

    Jürgen Henß / Bild: Fahrrad Böttgen
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